piwik no script img

HörhilfeMeta-Seufzer

■ Oskar Werner liest Hamsuns „Hunger“ und auch sonst alles, was gut und alt ist

Schätzungsweise 1.000 Hörbücher erscheinen pro Jahr. Rund 50 Millionen Mark werden mit Literatur-CDs und -Kassetten umgesetzt. Genau weiß das zwar niemand, doch zur Vorsicht flüstern sich schon seit einiger Zeit Verleger, Buchhändler und Journalisten gegenseitig ins Ohr, daß der Hörbuchmarkt ganz gewaltig boomt.

Sicher ist nur, daß schon vor zwei Jahren so viele Hörbücher gekauft wurden, daß das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel besorgt feststellte: „Mit zunehmender Nachfrage steigt auch der Wunsch nach Übersichtlichkeit.“ Darum erstellt das Branchenblatt seither zusammen mit dem Hessischen Rundfunk und dem BuchJournal jeden Monat die „hr2-Hörbuch-Bestenliste“. Die ist mit fünf Titeln plus zweimal Kinder- und Jugendbuch tatsächlich äußerst übersichtlich eingerichtet und enthält vor allem Mainstream: ordentlich vorgelesene Bestseller- und Klassikerneuerscheinungen.

Nummer eins der Bestenliste im April ist Oskar Werners Lesung von Knut Hamsuns „Hunger“: ein großer Schauspieler, ein großes Buch. Da konnte die Jury gar nichts falsch machen, aber die Aufname ist auch wirklich sehr schön: Oskar Werner macht aus dem kurzen Roman einen dreistündigen metaphysischen Seufzer.

Von seinem leisen, klagenden Ton kann man abhängig werden, zumindest eine Zeitlang. Und wer das Ohr nicht voll genug bekommen kann, sollte seinen Buchhändler nötigen, die wenigen und immer noch arg unübersichtlichen Hörbuch-Verzeichnisse durchzusehen: Es gibt nämlich noch einiges mehr von Oskar Werner. Als der sich in den 70er Jahren mit den meisten Theater- und Filmregisseuren längst überworfen hatte, gab er noch ab und an einen Rezitationsabend. Da las er dann jede Menge Gedichte von der Sorte, wie unsere Eltern sie früher in der Schule auswendig lernen mußten: Schillers „Taucher“, Goethes „Erlkönig“ oder Rilkes „Herbsttag“. Die CDs mit diesen Gedichten und Theaterszenen sind Tonkonserven, ganz wörtlich. Sie enthalten portionsweise eingekochte Klassiker, wie man sie sonst nicht mehr vorgesetzt bekommt: Wenn Oskar Werner „Don Carlos“ oder „Hamlet“ rezitiert, dann hört man bei allem traurigen Geseufze immer auch den warmen Klang der heilen Welt, den man in den 50er und frühen 60er Jahren noch bei Schiller, Shakespeare & Co. vermutete.

Als das Regietheater anfing, diese Welt auf Sollbruchstellen abzusuchen, war Oskar Werner deshalb gründlich beleidigt. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1984 hat er sich darüber ausführlich in einem Interview ausgelassen. Auch dieses Gespräch gibt es als CD, und man kommt damit ganz gut vom Oskar-Werner-Trip wieder herunter. Der ehemalige Burgtheater-Schauspieler beantwortet jede Frage mit einem schnöseligen Klassiker-Zitat, egal ob es paßt oder nicht, und regt sich dann im Anschluß jeweils furchtbar über den Verfall der Kultur auf. Oskar Werner, der mit seiner Rolle in François Truffauts „Jules und Jim“ den Softie in den sechziger Jahren gesellschaftsfähig gemacht hatte, gibt in „seinem letzten Interview“ den verbitterten alten Mann.

Auch das macht er natürlich perfekt: „Wenn man sich ein Leben lang bemüht hat, für den Adel des Geistes und für die Qualität des Gefühls einzutreten, dann kann man bei den Schändungen, die heute an den klassischen Meisterwerken vollzogen werden, nicht mitmachen. Sonst ist man ein Kollaborateur“, erklärt Werner. Und es gelingt ihm, das Wort „Kollaborateur“ voller Abscheu so zu verstottern, daß er gleich dreimal neu ansetzen muß.

Kolja Mensing

„Oskar Werner liest Hunger von Knut Hamsun“. ORF, Wien 1998, 2 CDs, 49,90 DM „Oskar Werner spricht Gedichte von Eduard Mörike, Heinrich Heine, Antoine de Saint-Exupéry und Georg Trakl“. Archiv Verlag, 1997, ..1 CD, 37,90 DM Oskar Werner: „Hamlet. Don Carlos. Faust“. ORF, Wien 1997, 2 CDs, 39,90 DM Oskar Werner: „Unser Charakter ist unser Schicksal“. Gespräch mit Werner Rosenberger. Preiser Records, Wien 1990, 1 CD, 37,90 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen