■ Hör-Tip: Strangers on a Train
„Wassermänner“, heute, 20Uhr, Deutschlandradio-Berlin
Um es gleich zu sagen: Diese Hörspiel-Premiere ist was für TheaterFreundInnen. Die bereits preisgekrönte Rundfunkautorin Simone Schneider übernimmt hier die Bearbeitung der Stücke-Trias „Sternfall“ von Lars Kleberg. Aus ihrer Vorgabe schneidert sie zwei narrative Stränge, die sie auf zwei Erzählgleisen in einen Hörraum schiebt: Während in Moskau die Großen der Theater-Moderne (Stanislawsky, Meyerhold, Tretjakow etc.) auf einem Kongreß disputieren, rollen zwei von ihnen – Brecht und Eisenstein – in Großaufnahme mit der Eisenbahn dorthin. Dies ist die unterhaltsame Schiene (die andere ist, was man so gemeinhin „bildend“ nennt); in ihrer Ausführung hat sie etwas von der beliebten Witzstruktur: „Treffen sich B. und E. im Zug“: Rauchend, hüstelnd und bonbonlutschend, tratschen die Giganten über Gott und ihre Welt. Und auch sonst menschelt's sehr angenehm im Abteil: Eifersüchteleien, Eitelkeiten und Besserwissereien.
Die Zugreise und der Moskauer Theater-Kongreß werden von der Autorin nun im Schuß-Gegenschuß-Verfahren gegeneinander geschnitten. Was wirklich sehr hübsch paßt, spielt doch Sergej Eisenstein, geschätzter Theoretiker der filmischen Montage, in der ersten Reihe mit! Ihre Dynamik erhält die Gesprächs-Collage durch die Gleichzeitigkeit der Spielebenen, die Parallelschaltung von Privatheit und Offizialität. Während man sich am Rednerpult in der Staatsmacht aalt und Vorzeigethesen schmettert, ist man im Plüschambiente ganz entre nous.
Nach erstem ästhetischen Beschnuppern – „Kuhle Wampe“, James Joyce, V-Effekt – ist der verblichene Ketzer Giordano Bruno Thema. Ein heißes Eisen damals wie heute. Denn: Scheiterhaufen bleibt Scheiterhaufen. Und kurz nach dem fiktiven Treff brannten wieder Bücher, später Städte und Leichen von Moskau bis Berlin.
Spielerisch verknüpft das Hörstück die ständig brisanten Fragen nach persönlicher Eitelkeit, künstlerischem Opportunismus und Verantwortlichkeit der Intellektuellen. Und wo vorgekaute Lösungen fehlen, bleibt der Weg frei fürs Selberdenken.GeHa
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