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Höhepunkt an Unsensibilität

■ Reagans repressive Vorschläge zur AIDS–Bekämpfung stoßen auf heftige Proteste

Liz Taylor versteht sich auf dinner parties. Das rutschige Parkett ist ihr Zuhause. Ein Küßchen für den ausgebuhten mr. president. Reagans Plädoyer für obligatorische AIDS–Reihenuntersuchungen und Einreisebeschränkungen am Vorabend des Internationalen AIDS–Kongresses war vor festlich gekleidetem Publikum ein heftiger Tritt ins teure Porzellan. Nicht in jedem Smoking steckt ein konservativer Geist. „Über die AIDS–Tests kann man geteilter Meinung sein, mr. president, aber ich denke, es war großartig und wundervoll von ihnen und Nancy, daß sie gekommen sind“, komplimentiert Liz Taylor Ronald Reagan vom Podium. Ein tosender Applaus für die souveräne Kleopatra, die dem Präsidenten den geordneten Rückzug erlaubte, bevor das Dinner serviert wurde. 250 Dollar für das Gedeck, 25.000 für den Tisch. Doch vielen war der Appetit verdorben. Einige Gäste verließen aus Protest den Saal. Draußen wurden Kerzen für AIDS– Opfer abgebrannt. „Egal was vorgefallen ist, er war Gast in unserem Hause“, sprach die bekannte Kolumnistin Abigal van Buren für alle, die sich nicht ins Essen spucken lassen wollten. „Ich war glücklich, daß er hier gesprochen hat.“ Mrs. van Buren, als „Dear Abby“ die amerikanische Frau Dr. Sommer, fürchtete als Mitglied der „Amerikanischen Stiftung für die AIDS–Forschung (“Am Far“) das abrupte Ende des Benefiz–Abends noch vor seinem Beginn. Doch mit ihrer einnehmenden rauhen Stimme war Liz Taylor das unglaubliche diplomatische Manöver gelungen, den Präsidenten für die Ansprache zu danken und gleichzeitig Tumulte zu verhindern. Die Party, zu der die „New York Life Insurance Co“ geladen hatte, erbrachte allein 500.000 Dollar für AIDS–Forschungsfonds. Und noch einmal 2 Millionen Dollar hatte die Vorsitzende des exklusiven AIDS–Hilfe–Clubs, Liz Taylor, unter ihren Freunden locker gemacht. Am nächsten Morgen griff die Polizei, ausgerüstet mit langen gelben Gummihandschuhen, 64 Demonstranten ab, die vor dem Weißen Haus die Straße blockierten, um gegen die Ankündigungen des US– Präsidenten zu protestieren. Auch vor dem Washingtoner Hilton Hotel, wo 7.000 Ärzte und Forscher zu der dritten internationalen AIDS–Konferenz zusammengekommen waren, war die Polizei gegen Demonstranten im Einsatz. Doch auch im vornehmen Hilton stieß Vize–Präsident George Bush, als er die Ansichten Reagans noch einmal bekräftigte, auf wenig Gegenliebe. Aus dem Wissenschaftlerauditorium ertönten Buhrufe. Als er zu seinem Platz zurückging, hörten Journalisten, wie Bush sich durch die Pfiffe verunsichert an den Gesundheitssekretär Robert Windom wandte: „Wer war das, ein paar Schwulengruppen?“. Die Bemerkung, über einige Nachrichtenagenturen verbreitet, brachte auch ruhige Wissenschaftler des größten AIDS–Kongresses, der je abgehalten wurde, auf. „Das war ein neuer Höhepunkt an Unsensibilität“, protestierte Michael Gottlieb, ein renommierter Immunologe aus Los Angeles. „Wir kämpfen hier gegen eine furchtbare Seuche. Das ist nicht die Hilfe, die wir von unseren Politikern gebrauchen können.“ Die vor dem Weißen Haus festgenommenen Demonstranten wurden nach ein paar Stunden wieder freigelassen. Unter ihnen Leonard P. Matlovich, ein ehemaliger Luftwaffensergeant, der die Air Force verlassen mußte, als er sich offen zu seiner Homosexualität bekannte. Er verklagte die Luftwaffe in einen spektakulären Prozeß wegen ihrer Verbannung von Homosexuellen und erhielt 160.000 Dollar Entschädigung. Der Vietnamveteran, inzischen an AIDS erkrankt, erklärte: „Wenn ich drei Jahre in Vietman für die Demokratie kämpfen kann, kann ich schon einmal eine halbe Stunde für unser aller Leben im Gefängnis sitzen.“ „Ich denke, die Proteste zeigen die Bedeutung des Problems, das so eine Maßnahme verursacht“, kommentierte der AIDS– Arzt Gary Nobel vom Gesundheitsamt die Demonstrationen in der Stadt. k.k.

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