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Archiv-Artikel

Höflich beklatscht

Den Autor Peter Sotos als „kontrovers“ zu beschreiben, greift fast ein bisschen kurz. Er las im Kreuzberger„Basso“

Angekündigt wurde Peter Sotos als „blutrünstigster Autor seit dem Marquis de Sade“. Diejenigen, die den Weg hierher ins Kreuzberger „Basso“ gefunden hätten, das hielten die Veranstalter in der kurzen Einführung fest, wüssten ja bestimmt, mit wem sie es zu tun hätten. Sotos ist seit Jahren berüchtigt für seine die öffentliche Moral herausfordernde Kunst. Das von ihm in den Achtzigern herausgegebene Magazin Pure geriet in den Verdacht der Verbreitung von Kinderpornografie, er selbst wurde zu einer Haftstrafe wegen des Besitzes selbiger verurteilt.

In der literarischen Arbeit des kontroversen Autors dreht sich meist alles um das Ficken, auch von Kindern. Sotos schreibt pornografischen Pulp, arbeitet mit den Mitteln des True Crime, lässt Kindesentführer ihre Leidenschaft in expliziten Beschreibungen ausleben. „Ich weiß von Lesern, die sich übergeben mussten … oder weinend zusammenbrachen“, schreibt der Herausgeber des Hass-gegen-alles-Magazins Answer Me auf dem Klappentext der deutschen Ausgabe von Sotos’ Buch „Special“.

Im „Basso“, unter lauter Literatur-Intellektuellen mit Hang zum Abseitigen und Kennern des echten Undergrounds, durfte Sotos gleichzeitig in die Rolle von Märtyrer und Aufklärer schlüpfen. Es ging ganz offensichtlich darum, diesem Mann als Ankläger und Opfer von Bigotterie im Namen der Freiheit der Kunst einen Raum zu geben. Die kurze Lesung aus seinem letzten Buch „Comfort & Critique“ war wenig spektakulär: Sotos nuschelte, man verstand kaum etwas, dazu liefen ein paar Sequenzen aus einem Pornofilm.

Aussagekräftiger war da Sotos’ Found-Footage-Film „Waitress“: Hier wurden Bilder von durch amerikanische Talkshows tingelnden Opfern von Kindesmissbrauch, Aussagen von Tätern und ein paar komische Masturbierszenen kompiliert. Sotos schien sagen zu wollen: Kindesmissbrauch ist eine Realität, deren Zeuge ich täglich im Nachmittagsprogramm werden kann. Meine Arbeit tut nichts anderes als diese Medienrealität zu verarbeiten. Auch wenn ich kein Geheimnis mache um meine Obsessionen und mich an moralisch verworfen geltenden Sexualpraktiken aufgeile – das Massenpublikum macht vor dem Fernseher letztlich auch nichts anderes.

Diese Vermischung von Kulturkritik und Bekenntnis zur Passion wirkte alles in allem ziemlich achtzigerjahremäßig. Sotos war selbst eine Zeit lang Mitglied der Industrial-Band Whitehouse und scheint immer noch das alte Industrialprogramm – das Zeigen gesellschaftlicher Perversionen – durchziehen zu wollen. So kamen Provokation, das Brechen von Tabus und ein gelegentlich unangenehmer Selbsterklärungsdrang schräg zusammen. Danach klatschten alle noch höflich, Fragen hatte niemand.

ANDREAS HARTMANN