Höchste Zeit, daß was geschieht

■ betr.: "Rechte erstachen Hausbesetzer", "Skinheads trampelten 53jährigen zu Tode", taz vom 23.11.92, "Mordbrenner in Mölln", taz vom 24.11.92

betr.: „Rechte erstachen Hausbesetzer“, „Skinheads trampelten 53jährigen zu Tode“, taz vom 23.11.92, „Mordbrenner in Mölln“, taz vom 24.11.92

[...] Höchste Zeit, daß etwas geschieht, damit wir und unsere Ausländer unbehelligt durch die Straßen gehen beziehungsweise im Komfortcontainer überwintern können.

Spannend: Wer schnappt in Mölln die Killer? Die türkische Selbsthilfe-Bürgerwehr oder die Kripo? Letztere können Verräter aus Faschokreisen erstmalig mit 50.000 Kopfgeld locken. Immerhin, auch eine neue Qualität in der Fahndung.

Großwetterlage: Wem es nützt? Rechts=links – wir tun ja was – lenkt ab von den alltäglichen, medienunfreundlichen Grausamkeiten gegen andere, schwächere und gehandikapte Menschen. [...] CDU und SPD üben schon fleißig große Koalition. Sind die damals gemeinsam gestalteten Notstandsgesetze eigentlich einsatzbereit, wenn auch hier der Bürgerkrieg tobt?

Kleinwetterlage: Fühle mich genau wie nach Tschernobyl elend, aufgewühlt und voll traurigem Zorn. [...] Angelika Wolf, Mülheim-Ruhr

Als Freunde vor einem Jahr

sagten,

sie spüren die Pogromstimmung

gegen sie,

die Ausländerfeindlichkeit,

unter der sie erdrückt werden,

reagierte ich recht salopp

und war der Meinung,

daß vieles eine Ausnahmeerscheinung ist...

Heute, nach einem Jahr,

in dem sehr viele Ausländer Opfer

rechtsextremistischer Gewalttaten

geworden sind,

Menschen, wie du und ich,

nachts, bei lebendigem Leibe,

in ihren Betten verbrannt worden

sind,

empfinde ich tiefe Trauer und

Sprachlosigkeit,

denke an meine Familie

und an die, die heute nacht nicht werden schlafen können. Ismail Karacaoglau

[...] Viele fordern, daß die Täter erfaßt und hart bestraft werden sollen. Ja, sollen sie, aber auch dann wird es nichts ändern, was die Ängste der Migranten betrifft, was die Rechte der Migranten betrifft, was die Gleichgültigkeit gegenüber Gewalt betrifft. Die Entpolitisierung der Gesellschaft muß endlich aufhören, wenn Deutschland seine geschichtliche Chance haben will. Nationalstaatliches Denken und Handeln muß überprüft und dahingehend korrigiert werden, daß in diesem Land Menschen aus anderen Kulturen und anderen religiösen Glaubens die gleichen Rechte wie die Mehrheit der Bevölkerung haben und diese Rechte gezielt und überprüfbar durchgesetzt werden. Die Gesellschaft, deren Mitglieder es zulassen, daß von ihnen gewählte Politiker offensichtlich Menschen nach ihrer Herkunft, Religion und Sprache kategorisieren, ist die Verursacherin der Gewalt. [...] Ali Özsoy

[...] Diese verabscheuungswürdigen Taten sind Faustschläge ins Gesicht für jede zivilisierte Kultur, die in ihrer Ohnmacht von der staatlichen Exekutive und Legislative allein gelassen werden, denn auch nicht energisches Durchgreifen gegen diese faschistisch orientierten Mörder ist eine Form der Tolerierung.

In einem Land, in dem organisierte Totschläger durch heimtückische und feige Anschläge Menschenleben und Menschenrechte mit Füßen treten und die Regierung bewährte Rechtsmittel nicht bis zum äußersten ausschöpft, droht dem Staat der Verlust seines Gewaltmonopols, indem er eine gewaltmotivierte Gegenbewegung durch sein halbherziges Durchgreifen gegen subversive Rechtsradikale provoziert. Wozu dies führt, dürfte den meisten bekannt sein, es sei denn, die passive Rolle der Regierung läßt sich dahingehend deuten, daß ihr die barbarischen Ausschreitungen willkommen sind, um innen- und außenpolitische Debakel zu verschleiern. Thomas Dethof, Holzwickede

[...] Ich fordere die deutschen Politiker auf, jetzt endlich unmißverständlich und nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten, unsere Demokratie zu schützen, unser Grundgesetz zu bewahren und die Menschen in unserem Staat zu schützen. Statt politischem Machtkalkül und elender menschenfeindlicher Asyldebatte sollte sich jetzt Moral, Ehrlichkeit und Zivilcourage bei Politikern durchsetzen. [...] Helma Ikon, Köln

[...] „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Dieser Spruch ist nicht neu; bisher hat er mich verwundert, weil ich immer glaubte, daß man nur stolz auf etwas sein kann, an dem man mitgearbeitet hat. Heute habe ich begriffen, daß Leute mit dieser Einstellung nicht stolz sind auf das Land, in dem sie leben, sondern auf das Land, in dem wir leben werden, wenn wir sie gewähren lassen.

Die Menschen, die heute nacht in Mölln ermordet wurden, waren nicht die ersten, die dem unverständlichen Wahn dieser Leute zum Opfer gefallen sind. Ich bin entsetzt, wie lange unsereine zuschauen und schweigen kann.

Neonazis haben bewirkt, daß ich ein Bewußtsein für dieses Land bekommen habe. Ich schäme mich, Deutsche zu sein, solange ich hinnehme, daß meine Mitbürger, Arbeitskollegen und Freunde bedroht und ermordet werden. Anke Herling,

Claudia Reichmann, Düsseldorf