Hockey-Nationalspielerin Natascha Keller: Aufhören? Wozu denn?
Die Berliner Hockey-Nationalspielerin Natascha Keller steht auf dem Gipfel ihrer Karriere. In London will sie nun letztmalig antreten. Allzu sicher kann man sich da nicht sein.
Es ist Mittagspause. Ungestört reden kann man am Arbeitsplatz von Natascha Keller in einem Charlottenburger Gewerbehof nur im Lagerraum. Unzählige graue Kartons stapeln sich hier, zwei funktioniert die Hockey-Nationalspielerin kurzerhand zu Sitzgelegenheiten um. Von hier aus wirkt der gedankliche Sprung immens – der Sprung zu den Olympischen Sommerspielen, die Ende kommender Woche in London beginnen und an denen die deutsche Rekordnationalspielerin teilnehmen wird.
Aber das ist ein Irrtum. Denn Keller arbeitet für ein Sportmarketingunternehmen, das auch Berlin-Andenken vertreibt und bei den Olympischen Spielen mitmischt. Auf einem Schiff in London wird ihr Arbeitgeber beim sogenannten Champions Club für den Berliner Sport werben. Und die Kisten im Lagerraum sind voll mit Taschen, T-Shirts, Schlüsselanhängern und anderen Berliner Merchandisingprodukten. „Die Vorfreude ist bei mir vielleicht noch größer als bei anderen, weil ich rund um die Uhr mit dem Thema zu tun habe“, sagt Keller.
Gewachsenes Interesse
Die Mittagspause an ihrem Arbeitsplatz erweist sich als die größtmöglich zu nutzende Lücke in ihrem Tagesablauf. Bis vor Kurzem hat Keller es geschafft, Termine wie diesen unterzubringen – vermutlich auch deshalb, weil es der gebürtigen Berlinerin eher schwerzufallen scheint, Nein zu sagen. „Aber in den letzten Wochen“, berichtet die Frau vom Berliner Hockey Club (HC), „nahmen die Anfragen überhand. Ich musste jetzt auch mal absagen.“ Vom Pressesprecher des deutschen Hockeyverbands erfuhr sie kürzlich, dass das Medieninteresse diesmal deutlich größer sei als sonst. Der Grund ist offensichtlich: Außer den Volleyball-Männern hat sich kein anderes deutsches Team einer Mannschaftssportart für London 2012 qualifiziert.
Natascha Keller steht indes besonders im Blickpunkt, denn für die Ausnahmespielerin sind es bereits die fünften Sommerspiele. Mehr als die Hälfte ihres Lebens steht die 34-Jährige bereits in Diensten des Nationalteams. Mit 410 Einsätzen hat Keller eine Marke gesetzt, die lange unerreicht bleiben dürfte. Weil sie als Weltmeisterin, Europameisterin, Olympiasiegerin von 2004 und Welthockeyspielerin von 1999 zudem alle Meriten erworben hat, die zu einer außergewöhnlichen Sportlerkarriere gehören, wird sie zum engen Kreis gezählt, aus dem ermittelt werden soll, wer die deutsche Olympiamannschaft beim Einzug der Nationen mit der Fahne anführt.
Rekordnationalspieler gehören im Mannschaftssport eigentlich zu einer Spezies, der das harte physische Training zur Qual wird. An ihnen halten die Trainer trotz nachlassender körperlicher Leistung wegen ihrer Erfahrung und ihres Überblicks fest. Bundestrainer Michael Behrmann attestierte Natascha Keller jedoch Anfang dieses Jahres, generell an Wert für das Team gewonnen zu haben: „Sie ist wie guter Wein: je älter, desto besser.“
Die derart Gelobte, die das Zusammenspiel von Schläger und Ball von jeher überragend beherrscht, verblüffte vor einem Jahr mit der Erkenntnis, mit der gewachsenen Erfahrung auch schneller geworden zu sein. Und sagt heute: „Mir macht das Athletiktraining mittlerweile mehr Spaß als das Hockeyspielen.“
In ihrer ersten Karrierehälfte hatte Keller öfters mit ein paar Kilos zu viel und mehr Verletzungen als heute zu kämpfen. Doch nachdem bei ihr vor einigen Jahren eine Schilddrüsenunterfunktion festgestellt wurde und sie das fehlende Hormon einnimmt, hat ihre Karriere Schwung bekommen. „Seitdem fühle ich mich viel fitter“, sagt sie. Dass ihr körperliches Kapital so lange für den Leistungssport reicht, führt die Berlinerin auch auf das frühe systematische Training ihres Vaters zurück. Carsten Keller, selbst Hockey-Goldmedaillengewinner der Münchener Spiele von 1972, der beim Berliner HC die Grundausbildung seiner Tochter übernahm, habe in seiner Trainingslehre immer sehr modern gedacht und früh viel Wert auf Gymnastik gelegt. Olympisches Gold haben im Übrigen auch die Brüder Andreas (Barcelona 1992) und Florian (Peking 2008) gewonnen. Großvater Erwin Keller musste sich 1936 in Berlin noch mit Silber begnügen. Wegen dieser familiären Serie wurde schon häufiger die Frage nach einem einmaligen genetischen Code aufgeworfen – zumal nun auch noch Neffen und Nichten von Natascha Keller in den Juniorennationalteams auf sich aufmerksam machen.
In London könnte die 34-Jährige mit einer zweiten Medaille also auch einen innerfamiliären Rekord aufstellen. „Selbstverständlich ist das nicht. Bei den letzten großen Turnieren wurden wir leider immer nur Vierter“, sagt Keller. Auch ein Grund, weshalb sie sich nicht zum Aufhören entschließen konnte.
„Mein sportlicher Ehrgeiz ist wohl größer als mein beruflicher“, sagt sie über sich. Dabei hat sie gedanklich schon mehrmals Abschied genommen vom Hockey. Vor sechs Jahren sprach sie öffentlich davon, auch vor der WM 2010 in Argentinien verkündete sie ihr Karriereende. Ihre Tennisfreundinnen, erzählt Keller, würden sie schon seit Jahren immer wieder vorsorglich beim Ü-30-Team ihres Vereins anmelden. Nach diesem Sommer sollten ihre Chancen besser denn je stehen – Keller behauptet: „Nach den Spielen höre ich im Nationalteam endgültig auf. Ich muss den Jüngeren mal Platz machen.“
Bewusst genießen
Natascha Keller blickt höchst zufrieden zurück („Ich habe immer die richtigen Leute getroffen“) und nach vorn: „Jetzt ist der Moment, wo ich alles noch mal ganz bewusst genießen kann.“ Und doch spürt man, dass ihr der letzte Schritt schwerfallen wird – und auf ein komplettes Aus will sie sich noch nicht festlegen lassen. In der Hockey-Bundesliga, sagt sie, werde sie möglicherweise noch spielen: „Das kann und will ich nicht ausschließen.“
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