Hochrechnungen zur Bundestagswahl: Linke zittern um den Einzug
Die Linkspartei fährt nach jahrelangen internen Streitigkeiten ein äußert bescheidenes Wahlergebnis ein. Die Auseinandersetzungen fangen jetzt an.
Eines stand für den Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Jörg Schindler, schon fest, bevor die ersten Wahlzettel ausgezählt waren: Am Wahlkampf lag es nicht. „Wir haben an 150.000 Haustüren geklingelt, haben die richtigen Themen gesetzt und unsere Spitzenkandidaten, insbesondere Janine Wissler, haben weite Teile der Partei mitgenommen“, so Schindler. Doch trotz des Wahlkampfturbos kämpfte die Linke am Wahlabend bei Redaktionsschluss noch immer mit dem Wiedereinzug in den Bundestag und einige mit den Tränen.
Entsprechend ernüchtert fielen die Reaktionen im Festsaal Kreuzberg in Berlin aus, wo sich die Linken versammelt hatten: „Oh Shit!“, „Oh Fuck!“, danach Stille. Der Hochrechnung um 19 Uhr zufolge wählten 5 Prozent der Menschen die Linkspartei, deutlich weniger als 2017. „Das Ergebnis ist ein schwerer Schlag für uns“, sagte eine abgekämpfte Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow und beschwor ihre Partei, nun solidarisch zu sein.
Die nordrhein-westfälische Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht bezeichnete das Ergebnis im ZDF als „bittere Niederlage für uns alle“. Die Linkspartei habe sich in den letzten Jahren immer mehr von dem entfernt, wofür sie gegründet worden sei. Für Dietmar Bartsch stand bereits fest: „Unser Platz im Bundestag wird die Opposition sein“.
Insbesondere für ihn, den Fraktionschef und Spitzenkandidaten, der noch im Sommer optimistisch war, dass seine Partei ein zweistelliges Ergebnis einfahren könne, ist das Ergebnis katastrophal.
Destruktive Debatten
Zumal sich auch in Bartschs Heimat, in Mecklenburg-Vorpommern, der Abwärtstrend der Linken im Osten fortsetzte. Hier wählten die Bürger:innen am Sonntag auch einen neuen Landtag und die Linke bekam der Hochrechnung zufolge nur jede zehnte Stimme. In den 90ern gewann die damalige PDS noch jede vierte Wähler:in. Der Abschwung im Osten ist auch der Vergreisung der dortigen Mitglieder geschuldet.
Der bundesweite Sinkflug aber ist vor allem eine Quittung für die destruktiven parteiinternen Debatten, die sich die Linke in den letzten vier Jahren leistete. Und an diesen hat Bartsch, der seit 2015 die Fraktion führt, seinen Anteil. In entscheidenden Fragen etwa zu Einwanderung, zur Zukunft Europas oder auch zur konkreten Ausgestaltung einer friedlichen Außenpolitik hat die Linke keine schlüssigen Antworten parat, zumindest keine, die die Wähler:innen verstehen.
Statt um gemeinsame Positionen rangen die Linken in der vergangenen Legislaturperiode vor allem um parteiinternen Einfluss, wobei sich die Fraktion mit Bartsch und Wagenknecht an der Spitze und die Parteiführung zuweilen wie verfeindete Parteien gegenüberstanden.
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In diesem Tauziehen stärkte Bartsch Gruppen, deren außenpolitische Ansichten bei ihm und vielen Wähler:innen nur Kopfschütteln hervorrufen. So stimmten im August zwei stellvertretende Fraktionsvorsitzende gegen den Einsatz zur Evakuierung von Ortskräften aus Afghanistan, weil dazu ja die Bundeswehr gebraucht wurde, was die Linke ablehnt.
Konsequenzen – auch personelle
Die Mehrheit der Fraktion enthielt sich aus parteiinterner Räson. „Für politisch Interessierte war die Abstimmung zu Afghanistan unser Sargnagel“, meint eine Genossin aus Bartschs Reformerlager. „Unwählbar“ hätten ihr Leute am Wahlstand gesagt.
Schon am Wahlabend begann für die Linken die Zeit der Aufarbeitung. „Wir sollten sehr selbstkritisch über uns und unsere Zukunft nachdenken“, sagte später am Abend der Elder Statesman der Partei Gregor Gysi. Der Linken stehen heftige Grundsatzdebatten bevor – über ihre Rolle in der Gesellschaft, wozu es die Partei braucht. Wohl auch über ihr Spitzenpersonal im Bundestag.
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