■ Nachschlag: Hochkultur-Rave in der Akademie
Mittags auf den Friedhof, nachmittags Weinbrand mit Kaffee, abends in die Akademie der Künste und nichts im Übermaß. Schön ist das Leben, wenn der Herbst naßgrau und kalt ist. Gestern hatte Akademiepräsident György Konrád eine Rede zur Eröffnung des debis-Gebäudes am Potsdamer Platz gehalten, die in der Berliner Zeitung abgedruckt wurde. „Am Abend winkt schon von weitem mit grünem Licht das Unternehmenssignum“, hatte es da geheißen und daß sich in dieser „sich wandelnden, nagelneuen Innenstadt“ die sich „in Versöhnung und Vereinigung begriffene Nation“ spiegele. Schön wird es werden, wenn Berlin „Weltstadt“ wird. „Ein Abenteuer kündigt sich an“, und mit einer „langen Nacht“, einem Hochkultur-Rave, beendete die Akademie ihre Herbstversammlung.
Kultur da und dort, viel Publikum war gekommen und alle schön angezogen. Im Klubraum las György Konrád aus seiner Erzählung „Heimkehr“ vor. Immer schön, György Konrád zuzuhören, der ungarische Akzent in seiner Stimme ist so angenehm. Danach dann „Rückblick“, eine Serenade für drei Violoncelli. Oft schlagen die MusikerInnen mit ihren Violoncellobögen auf die Saiten. Ab und an beißt man sich auf die Lippen. Die Musiker wackeln auch immer so komisch mit ihren Köpfen. Das sei notwendig, erklärte man mir später, um im Takt zu bleiben.
Die jungen Frauen am Buffet haben hübsche Ausschnitte. Egon Monk erinnerte sich an die ersten Jahre des Berliner Ensembles. Dann wieder: Violoncelli. Dann Ursonate, John Cage, Ausdruckstanz. Der modernen E-Musik eignet eine gewisse Humorlosigkeit. „Was ist denn das für einer?“ sagt lustig ein Architekt zum anderen. „Gibt es also auch Architekten, die sich so was angucken.“ Im neuen Film „Engelchen“ von Helke Misselwitz, deren Kameramann Thomas Plenert gerade in die Akademie der Künste aufgenommen wurde, geht es um ein junges Mauerblümchen, das nie Liebe gekriegt hatte und sich in einen polnischen Zigarettenverkäufer verliebt und Selbstmord versucht und ein Baby zum Liebhaben in der U-Bahn klaut. Ein etwas leidendes Pendant zu Kaurismäkis „Mädchen aus der Streichholzschachtelfabrik“. Trotzdem: sehr schön. Eine kulturbegeisterte Besucherin, die sich nur im Arsenal, in der Urania und in der Akademie Filme anguckt, war auch ganz sprachlos über die geschilderten Traurigkeiten. Die Spiegel-Reportage über Neukölln neulich fand sie auch ganz toll. Detlef Kuhlbrodt
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