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Hochgenuss und R2D2-PiepsenDie volle Wedding-Länge Straßenbahn

Ausgehen und rumstehen

von Lorina Speder

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und der Winter schon fast vergessen. Die Laune der Weddinger ist deshalb am Abend immer noch gut: Im Neontoaster an der Seestraße werde ich mit einem strahlenden Lächeln empfangen. Das reizende kleine Restaurant versetzt mich jedes Mal in Italien-Stimmung, und die Empfehlungen der entzückenden Besitzerin auf Deutschitalienisch verleiten mich zu mehreren Gängen Hochgenuss.

Dabei wird jeglicher Stress, der bei der hohen Anzahl von Bewirteten aufkommen könnte, ganz italienisch, con calma, abgetan. Bei violettem Tee und Polenta inmitten der 50er-Jahre- Einrichtung, die mit verspielten Details samt Gartenzwerg im Blumentopf und selbst genähten Vorhängen am Flur kokettiert, beginnt meine Nacht. Nach dem Essen gehe ich ins Studio 8, die versteckte Bar in Gesundbrunnen. Ich nutze die volle Wedding-Länge der Straßenbahn M13 und begebe mich in die Grüntaler Straße. In der Bar mit der Hausnummer 8 legen seit mehr als einem Jahr jeden Freitag DJs Soul-, Funk- und Rockplatten auf. Jetzt, wo Vinyl auch offiziell mit höheren Verkäufen als MP3s in aller Munde ist, wird mit der Veranstaltung ein neues Publikum angelockt.

Es sind kaum Plätze für alle da, und die DJane legt Trio und die Titelmusik von Peter Gunn auf. Wenn es am Freitag um live eingespielte Musik auf Vinyl geht, dann endet das sonnige Wochenende am letzten Tag davon ähnlich, aber doch ganz anders: Jan St. Werner, selbst DJ, gibt am Sonntag im Neuen Berliner Kunstverein zur Finissage der Candida Höfer/Rosa Barba Ausstellung ein Konzert. Der Electro-Künstler, den man als eine Hälfte des Duos Mouse on Mars kennt, präsentiert Sounds und Stücke seines „Fiepblatter Catalogue“.

Bevor sein Set losgeht, begutachte ich in der oberen Etage ein letztes Mal die Filminstallation von Rosa Barba. „The Color Out of Space“ wird von einer Sound-Kollage umhüllt, die Werner kreierte. Parallel zur tonalen Ebene erscheinen Projektionen von Galaxien oder der Sonne an der Wand. Durch eine Ansammlung von farbigen Scheiben bekommt die Filminstallation im Raum eine skulpturale Ebene, die mehrere Perspektiven zulässt und die Projektion am Ende verändert.

Aber nicht nur oben tauche ich in eine andere Welt ein. Die Räume des Erdgeschosses sind kaum wiederzuerkennen. Es herrscht Club-Atmosphäre: Die Nebelmaschine ist in vollem Gange und die Fenster zugehangen. Die meisten Fotografien Höfers wurden aus Sicherheitsgründen entfernt. Nicht dass sich jemand im nebligen Raum an einem Bild stößt. Durchbrochen wird der Nebelschleier schon vor der Performance von einem gelb-grünen Lichtstrahl. Dieser wird gesteuert von Künstler Federico Nitti, der sich mit der Beziehung von Sounds und Bildern auseinandersetzt.

Als Jan St. Werner sich hinter den Laptop stellt und das Set losgeht, reagieren die aufgebauten LED-Spots im gesamten Raum auf die Geräusche und Töne. Doch tanzbar ist die Musik nicht: Zwar wabern die Bässe, doch ein Zähltempo suchte ich vergebens. Die Sounds, die Werner präsentiert, sind teilweise durch Algorithmen entstanden, also vollkommen unvorhersehbar. Und genauso fühlt es sich an. In den Pausen bin ich mir nicht sicher, ob das so sein soll. Die Stille, die immer wieder plötzlich kommt, ist verwirrend. Die folgenden Geräusche sind meist befremdlich. Fast freue ich mich, wenn ich etwas Hörbares identifizieren kann. Ein Snare-Trommelwirbel bekommt so auf einmal etwas unheimlich Organisches.

Guckt man sich Interviews mit Werner an, versteht man aber, was das alles soll. Er nimmt Sounds auseinander. Bis auf das letzte Detail. Das R2D2-Piepen, Brummen und Krachen, das wir um die Ohren geschleudert bekommen, ist seine letzte Stufe der Dekonstruktion.

Zur Mitte des Sets gibt es aber einen schönen kompositorischen Moment: Bei ruhiger Stimmung sind erstmals Töne, ja sogar ein harmonischer Aufbau hörbar. Darauf folgt ein Stück mit ganz viel Wumms, Gewalt und Donnerwetter. Zeit für mich zu gehen. Sonst vergesse ich noch, dass auch heute den ganzen Tag die Sonne schien.

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