: Hoch droben auf dem Berg
Stadtteilgeschichte und Stadtteilinitiative in einem: Die Ausstellung über die Rosenthaler Vorstadt und Veteranenstraße im ehemals besetzten Kunsthaus Acud ■ Von Uwe Rada
So richtig grau und eintönig erscheint die neumodische Mischung aus selbsternannten Kiezführern und postmodernem Lokalkolorit erst, wenn man auf eine der seltenen, sprich: spannenden Ausnahmen trifft. Dann stehen nicht aus Steinschichten angehäufte Häuser oder unverständliche Bebauungspläne zur Betrachtung, sondern ein lebendiger Alltag in einer ebensolchen Umgebung, der dem Leser mitunter ein ganz neues Bild einer vermeintlich altbekannten Gegend bietet. Die Ausstellung „Zeitsprünge“ im Kunsthaus Acud in der Veteranenstraße 21 ist zusammen mit dem lesenswerten Katalog eine solche Ausnahme. Vorgeführt werden neben den mit den Bewohnern abgestimmten Bebauungskonzepten für die Baulücken in der kriegszerstörten Veteranenstraße zahlreiche mit Skurrilitäten angereicherte Geschichten aus der Rosenthaler Vorstadt. Diese markiert mit der Veteranenstraße gewissermaßen den Anstieg zwischen dem Berliner Urstromtal und der Bruchkante des Barnimer Höhenzugs. Der Höhenunterschied zwischen 35 Metern im Tal und 52,12 Metern auf dem Veteranenberg war für die Straßenbahn ein gewisses Hindernis. Begegnet wurde ihm durch den Bau einer Betriebs-, sprich: Zwangshaltestelle in der Mitte der Veteranenstraße, mit der verhindert werden sollte, daß die Elektrische über die Brunnenstraße hinweg haltlos gen Tal rast. Daß ein kurzer Halt ab und an guttut, wissen seitdem offenbar auch die Bewohner des Viertels. Zum Beispiel ein 88jähriger Anwohner und ehemaliger Kommunist. „Vom Menschlichen her“, urteilt der 1954 aus der SED Ausgetretene heute über Erich Honecker, „alles gut. Ich hab' mit dem Mund Propaganda gemacht und er mit der Schalmei. Der hätte mal bei seiner Schalmei bleiben sollen.“
Angesichts der fortschreitenden Stadtzerstörung, vor allem in der Berliner Mitte, ist der seit geraumer Zeit übliche Rekurs auf die ursprüngliche Namensgebung der Berliner Stadtviertel wohl ein Identitätsangebot sowohl für die Jungen im Kiez als auch die Alteingesessenen. Für beide heißt das Viertel rund um den erst 1955 errichteten Weinbergspark Rosenthaler Vorstadt, der Senat hingegen wies das Gebiet unter anderem als „Südliche Brunnenstraße“ zum Sanierungsgebiet aus. Abseits der herkömmlichen Touristen- und Vergnügungspfade ist die Rosenthaler Vorstadt Schnittstelle zwischen Spandauer Vorstadt und Prenzlauer Berg. Bis zum Mauerbau freilich galt die Gegend um die Veteranen- und Brunnenstraße als ausgesprochen lebendiger Kiez mit Einkaufsstraßen, Caros Lachbühne und Walhalla-Theater, fünf Kinos und drei Schuhmachern.
Einer von ihnen ist der 1930 geborene Inhaber des Schuhhauses Engler in der Veteranenstraße 14: Herr Schultze. Im Interview mit einigen Schülern der John-Lennon- Oberschule in der Zehdenicker Straße schildert der Ladenbesitzer Alltägliches aus der Geschichte der einst zu beiden Seiten mit Mietskasernen bebauten Veteranenstraße. Zum Beispiel die Nacht zum 24. November 1943, in der nicht so sehr die Bomben der Alliierten einen Großteil der Häuser zerstörten, sondern zwei abgestürzte Flugzeuge. Am Tag danach war auch für den damaligen Schüler der Alltag außer Kraft gesetzt. „Ich weiß noch“, erzählt er den heutigen Schülern, „wie meine Schule kaputtging. Erst mal war's 'ne Riesenfreude. Ich mußte zum Alex mit der U-Bahn, komme raus, sehe schon die große Rauchwolke und hab' gedacht: Hoffentlich ist es die Schule.“
Ausführlich schildert Schultze auch die Geschichte seines Schuhhauses, das nun schon in der vierten Generation zur Familie gehört und sich seit dem Bau 1875 in der Veteranenstraße 14 befindet. Während die Besetzer des gegenüberliegenden Kunsthauses trotz ungeklärten Eigentumsverhältnisses nicht ans Aufgeben denken, will Hauseigentümer Schultze demnächst allerdings in Rente gehen.
Traurig klingt er nicht, schließlich hat er nicht nur den Unbillen des Sozialismus getrotzt, sondern auch den Verlockungen der Marktwirtschaft: „Da kamen ja gleich die ganz Schlauen und haben gesagt: ,Aus dem Laden muß was gemacht werden.‘ (...) Da haben wir uns gesagt, die können uns das Blaue vom Himmel erzählen, wir machen nichts, im Gegenteil, wir erhalten den Status des alten Tante-Emma-Ladens.“
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