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„Hoch die Röck!“

■ „Marika Rökk und ich“ von Lisa Politt im BKA

Kurz, aber effektvoll ist der Auftritt von Marika Rökk, wenn nach der Pause ein Spot auf die mit Blondperücke und Glitzerfummel verkleidete Lisa Politt fällt. Mühelos stellt sich das Bild jener prachtvollen Showtreppen in den Palästen der Revue her, auf deren oberster Stufe stets „eine kleine Quirl aus der Pußta“ stand, um gleich darauf die Maschine der Unterhaltungsindustrie mit nicht mehr als ihren zwei Beinen in Gang zu setzen. Mit einem Wahnsinnsstep steigt das pfeffrig-feurige Mädel mit dem großdeutschen k.u.k. Charme hinab in die völkisch-jubelnde Menge. Sie ist der lebende Beweis für die ewig schöne, stark-gesunde Jugend. Und sie ist das „Heil“ höchstpersönlich, denn „Heil“ ist „Heilung“ der real existierenden Widersprüche im triumphalen Weltgefühl (Mord, Totschlag u.ä.) durch die gute Laune: „Hoch die Röck!“ Das ist die Treppengeburt einer Propagandafigur oder: Auf der Revuetreppe ist jeder Abstieg ein Aufstieg direkt in den Himmel.

Nicht so bei Lisa Politt. In ihrem Programm Marika Rökk und ich . Eine Zwangsvorstellung ist der Abstieg unaufhaltsam, und der Step des UFA-Stars endet in der Versenkung des Orchestergrabens, wo man die „Dame aus der Hormocenta-Werbung“ als Ghostmother unserer Müttergeneration dann rumpeln hört. Weit gefehlt, wenn man glaubt, die Sache mit der Rökk sei damit begraben. Die „Zwangsvorstellung“ wäre eine solche nicht, würde sie nicht immer wiederkehren. So steht dann Marika Rökk gleich wieder auf der Bühne und läßt sich von Lisa Politt, die als Stimme über Band auch die Journalistin von 'Frau im Spiegel‘ spielt, Fragen stellen: „Frau Rökk, Sie sind jetzt 150 Jahre alt...“ Weiter kommt sie nicht, denn Frau Rökk schlägt sich auf die immer noch festen Schenkel und exerziert das, wofür sie berühmt geworden ist: das unzensierte Reden vor der Kamera.

Die Imitation dieser Frau, deren Lebensdevise das Durchhaltebewußtsein unserer Mütter doch ach so stark bestimmt hat, gelingt Lisa Politt recht überzeugend in einer Gratwanderung zwischen Parodie und Identifikation. Letztere ist besonders in den „ernsten Momenten“ der Nummer zu beobachten, wenn Marika, die Weinflasche in der Hand und die Einsamkeit des Stars im Herzen, mit ihrem Kanari plaudert. Doch in diesen Momenten hört der Abend auch auf, interessant zu sein, denn die Analyse des Phänomens Marika Rökk greift dann doch wieder nur in die Kiste der unverarbeiteten Vergangenheit, die wie üblich im Dritten Reich beginnt. So ist die Rahmenhandlung, in der es ums Verstehen gehen soll, frei nach dem Motto „Entsetzen allein genügt nicht, man muß wissen warum“ (Programmheft), denkbar schwach. Besagte Journalistin von 'Frau im Spiegel‘ ist durch besagtes Interview mit Frau Rökk verhindert, zum Geburtstag ihrer Mutter aufzutauchen, was ihr einige unangenehme Anrufe von jener Seite einbringt. Durch die Koinzidenz der Ereignisse, die Rökk im Kopf und die Mutter an der Leitung, ist besagte Journalistin gezwungen zur Standortbestimmung: Wo steht denn die Frau von heute, wenn nicht im Küchendampf oder im UFA -DEFA-Bavaria-Rummel? Lisa Politt läßt als Antwort auf diese Frage die Verdoppelung ihrer selbst als Schaufensterpuppe in einem Hauseingang stehen, und erst am Ende des Abends wissen wir, worauf sie dort wartet. Dann nämlich bewegt sich eine zweite Puppe, sichtbar die Verdoppelung von Marika, auf die Puppenjournalistin zu. Die Umarmung findet im Dunklen statt: So ist das also mit der Identifikation. Ähnlich im dunkeln bleibt dann auch die Absicht dieser „Zwangsvorstellung“. Weder der Maueraufdruck auf dem nazigrünen Trench noch das endlos lange Selbstgespräch der Akteurin über Bilderbuchkindheit und Beziehungskisten erklären den darstellerisch so bitter ernst vertretenen Anspruch, der diesem Comeback Marika Rökks eine vermeintlich politische Aktualität zu geben versucht.

-sim

Im BKA, Mehringdamm, Berlin 61 bis 30.7. täglich außer Di. und Mi. um 20.30 Uhr.

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