Historischer Prozess in Burkina Faso: Wahrheitsfindung nach 34 Jahren

In Ouagadougou wird ab Montag der Mord am Revolutionshelden Thomas Sankara vor Gericht verhandelt. Zeitzeugen erinnern sich noch gut.

Das 2020 eingeweihte Sankara-Denkmal in Ouagadougou Foto: Katrin Gänsler

OUAGADOUGOU taz | Der Prozess, der am Montagmorgen in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou beginnt, ist das Gesprächsthema schlechthin. Es geht darum, wie am 15. Oktober 1987 der damalige Präsident Thomas Sankara sowie zwölf seiner Vertrauten ums Leben gekommen sind. „Es ist ein historischer Prozess“, sagt Smockey, Musiker und Sprecher der Bürgerbewegung Balai Citoyen (Bürgerbesen). „Nicht nur in Burkina Faso hat die Bevölkerung darauf gewartet, sondern in ganz Afrika“.

Für viele Angehörige der jungen Generation ist Sankara, der dem einstigen Obervolta den Namen Burkina Faso (Republik der Aufrechten) gab, bis heute ein Held der Dekolonisierung, Afrikas Che Guevara. Er starb nach vier Jahren an der Macht bei einem Militärputsch, den sein Vertrauter Blaise Compaoré anführte – der regierte Burkina Faso dann selbst, bis im Oktober 2014 wochenlange Proteste der Balai Citoyen ihn zum Rücktritt zwangen.

Den Putschtag 15. Oktober 1987 wird Abdoul Salam Kaboré nie vergessen. Der promovierte Pharmazeut sitzt in seiner Apotheke „Pharmacie de Progrès“ in der Nähe des Friedhofs von Goughin. Unter Thomas Sankara war er Sportminister. Am fraglichen Tag befand er sich im Stadion des 4. August, rund fünf Kilometer vom Regierungssitz entfernt. Plötzlich hieß es: Straßen sind gesperrt, Schüsse fallen. „Und Thomas war nicht telefonisch zu erreichen. Und auch Blaise nicht,“ erinnert sich der 70-Jährige im Gespräch mit der taz.

In der Nacht erhielt er schließlich die Nachricht vom Tod seines Kameraden Thomas Sankara. Die Angst sei groß gewesen, möglicherweise selbst ermordet zu werden. Eins war für ihn trotzdem klar: Ein Gegenaufstand kam nicht in Frage. „Thomas hätte keinen Skandal gewollt und keinen Bürgerkrieg.“ Sicher war für Kaboré noch etwas anderes: „Blaise war verantwortlich. Er war von einer Gruppe umgeben, die hungrig auf Rache war. Thomas hat wie kein anderer Führungsqualitäten verkörpert.“

Kennengelernt hatten sich Sankara und Kaboré vor heute 55 Jahren an der weiterführenden Militärschule PMK (Prytanée Militaire de Kadiogo). „Ich war damals 15, Thomas ein Jahr älter.“ Aus einer Freundschaft unter Jugendlichen wurde schnell eine große Vertrautheit mit einem gemeinsamen Ziel: „Wir müssen etwas für unser Volk tun“. Als Sportminister versuchte Kaboré, die Bevölkerung zweimal pro Woche zur Leibesertüchtigung zu motivieren.

Der Exminister schwärmt von Sankaras Charisma, verbunden mit Bescheidenheit. Er sei der unangefochtene Anführer gewesen, dem niemand seine Führungsposition streitig gemacht habe. Compaoré stieß zu seiner Regierung, nachdem er und Sankara sich bei einem Auslandsaufenthalt kennengelernt hatten. Dass auch Sankara 1983 durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen war, ist für seine An­hän­ge­r*in­nen bis heute kein Manko, im Gegenteil: „Wir waren sehr glücklich und an unserem Ziel angelangt. Wir wollten das Land nicht von außen ändern.“

Abdoul Salam Kaboré hat eine Einladung zum Prozess erhalten. Einer sitzt allerdings nicht persönlich auf der Anklagebank: Blaise Compaoré. Der heute ebenfalls 70-Jährige ging nach seinem Sturz 2014 ins Exil in die Elfenbeinküste, 2016 nahm er die ivorische Staatsbürgerschaft an. Seine Anwälte gaben am vergangenen Mittwoch bekannt, dass weder sie noch ihr Mandant am Prozess teilnehmen werden. Er sei nie zu einer Vernehmung vorgeladen worden. Auch sei kein faires Verfahren zu erwarten, heißt es in der Erklärung.

Aziz Salmone Fall, ein in Kanada lebender Politikwissenschaftler, bleibt deshalb dem Prozess fern. Dabei hat er die internationale Kampagne „Gerechtigkeit für Thomas Sankara“ koordiniert. Sein Prozessboykott sei sein Protest gegen Compaorés Abwesenheit. Besser wäre es, wenn der Ex-Präsident da wäre, finden in Ouagadougou auch die Balai Citoyen. Von seiner Signalwirkung büßt das Verfahren dennoch nichts ein, zeigt es doch: Auch ein ehemaliger Staatschef kann zur Rechenschaft gezogen werden – wenngleich in Abwesenheit.

Ob Abdoul Salam Kaboré den Prozess verfolgen wird, weiß er noch nicht. Es würde ihn nicht sonderlich interessieren. Begrüßen würde er es aber, wenn man in Burkina Faso sagen würde: „Hau ab, Blaise. Du hast hier nichts mehr verloren.“ Kaboré selbst genügt folgende Gewissheit: „Thomas ist als tapferer Mann gestorben, der das Beste für sein Volk wollte.“

Was auch immer ab heute vor Gericht passiert – jetzt, sagt der Aktivist und Musiker Smockey, müsse alles dafür getan werden, dass die Verhandlung für die Nachwelt aufgezeichnet und archiviert wird. „Das ist wichtig für das kollektive Gedächtnis.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.