Historischer Machtwechsel in Paraguay: "Armen-Bischof" wird neuer Präsident

Nach 61 Jahren wählt Paraguay den Linken Fernando Lugo. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf ihm - doch er braucht Hilfe von Liberalen und Rechten, um seine Reformen durchzusetzen.

Fernando Lugo und Mitstreiter Frederico Franco feiern ihren Sieg. Bild: rtr

ASUNCIÓN taz Vor dem Pantheon der Helden mitten in Paraguays Hauptstadt findet an diesem Sonntagabend eine denkwürdiges Fest statt. Hundertfach werden rot-weiß-blaue Landesfahnen geschwenkt, "Lugo, Lugo"-Rufe hallen über den Platz. Die Menge zerfetzt eine Pappmachépuppe von Präsident Nicanor Duarte. "Wir sind frei, endlich frei!", jubelt der 42-jährige Verkäufer Pedro Valdez. "Ein Leben lang haben uns Militärs und korrupte Politiker bevormundet. Das ist der schönste Tag meines Lebens."

Bis weit in die Nacht hinein feiern Zehntausende den Sieg des linken Bischofs Fernando Lugo, der am 15. August die seit 61 Jahren regierende Colorado-Partei mit einem Mehrparteienkabinett ablösen wird. "Ich bin 60 und kenne nichts anderes", sagt die Lehrerin Teresita González, "ich bin in keiner Partei, und ich will, dass unser Land endlich allen gehört."

Gegen die Regierungskandidatin Blanca Ovelar hat Lugo einen sensationellen 10-Punkte-Vorsprung herausgeholt: Nach Auszählung von 92 Prozent der Stimmen hat er 40,8 Prozent, Ovelar kommt auf 30,7. Der schillernde Exgeneral Lino Oviedo muss sich mit 22 Prozent bescheiden. Zwar hatten um 17 Uhr sämtliche Hochrechnungen einen Sieg Lugos mit bis zu 5 Prozent Vorsprung vorausgesagt, doch die Politiker seiner Patriotischen Allianz für den Fortschritt fürchteten Wahlbetrug. Eine gespannte Ruhe lag über der Stadt.

Noch vor Bekanntgabe der Hochrechnungen war Blanca Ovelar vor die Presse getreten und hatte ein angebliches Kopf-an-Kopf-Rennen beschworen. Doch ihr Gesichtsausdruck sagte etwas anderes. Und in den Parallelzählungen der "Luguistas" kristallisierte sich der große Vorsprung bald heraus. Kurz vor halb sieben begrüßte ein überglücklicher Fernando Lugo seine Wahlkampfhelfer: "Ihr seid schuld daran, dass sich die meisten Paraguayer jetzt freuen. Auch die Kleinen können gewinnen!" In einem Nobelhotel sagte er später: "Wir möchten, dass man bei Paraguay nicht an Korruption oder Armut denkt, sondern an Authentizität und Ehrlichkeit. Nie wieder soll mit Vettern- und Günstlingswirtschaft, die unserem Land so viel geschadet haben, Politik gemacht werden."

Langsam füllten sich die Straßen mit Fahnen schwingenden Anhängern der Mitte-links-Allianz. Besonders auffällig die Liberalen, die Lugo ihren gut geölten Wahlkampfapparat zur Verfügung gestellt hatten - der Liberale Federico Franco wird Vizepräsident. Um neun Uhr räumte Ovelar ihre Niederlage ein. Paraguay reiht sich mit Lugos Sieg in die fortschrittlichen Regierungen Südamerikas ein - nur in Kolumbien und Peru sind noch überzeugte Neoliberale an der Macht. Lugo hofft auf Konzessionen der mächtigen Nachbarn Brasilien und Argentinien und befürwortet den Beitritt Venezuelas zum Wirtschaftsbündnis Mercosur.

Doch was kann er in dem verarmten 6-Millionen-Einwohner-Staat tatsächlich bewegen? Wird er "zugunsten der Armen die Wirtschaft ruinieren", wie der 22-jährige Unternehmer Mike Fröse befürchtet? Die Zeichen stehen eher auf Kontinuität. Im 45-köpfigen Senat werden bestenfalls vier Linke sitzen. Das heißt: Der Präsident muss sich seine Mehrheiten nicht nur mit den Liberalen, sondern auch mit Abtrünnigen des Colorados oder von Oviedos rechter Unace-Partei zusammenbasteln - alle Vertreter des einheimischen Kapitals. Bei aller Fähigkeit zur Vermittlung, die ihm nachgesagt wird, dürfte das nicht ohne Abstriche am eigenen Reformprogramm gehen. Paraguay bleibt wohl bis auf weiteres der weltweit viertgrößte Sojaexporteur. "Aber Lugo wird sich für einen umweltfreundlicheren Anbau einsetzen", ist der Agronom Andrés Wehrle überzeugt. "Wenn der hemmungslose Pestizideinsatz bekämpft wird, gehen die übelsten Farmer von allein pleite." Auch eine Landreform dürfte der neue Staatschef dezidierter in Angriff nehmen als etwa Lula da Silva in Brasilien - denn seine politische Heimat hat er gerade in jenen Bauernbewegungen, die den Kern einer neuen, basisorientierten Linken bilden. Agrarreform, sozialer Wohnungsbau, Bildungsreform - das alles braucht Geld und viel Zeit. Die Kassen sind leer, und vor allem bekommt es Lugo mit einem trägen, korrupten Verwaltungsapparat und einer ebensolchen Justiz zu tun. Martín Almada, prominenter Streiter gegen die Täter und Komplizen der jahrzehntelangen Stroessner-Diktatur, ist einerseits begeistert: "Mit Lugo kommen die Menschenrechte an die Macht." Andererseits bleibt er Realist: "Wenn ihm wirklich gelingt, dass fünf Jahre lang nicht mehr geklaut wird, wäre das bereits eine kleine Revolution."

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