Historiker zu Hafenentwicklung: "Wie die Kohle für das Ruhrgebiet"
Hamburgs Politik ist nicht nur personell eng mit dem Hafen verflochten, sondern hat dessen Bedeutung stets großzügig berechnet.
taz: Herr Strupp, wie entstand der Mythos „Hamburger Hafen“? Als schlaue PR-Idee?
Christoph Strupp: Der Mythos „Hafen“ hat seine Wurzeln durchaus in der wirtschaftlichen Bedeutung des Hafens für Hamburg. Andererseits ist die Identifizierung der Stadt mit dem Hafen immer wieder durch wirtschaftliche und politische Krisen verstärkt worden.
Welche Krisen meinen Sie?
Die beiden Weltkriege, die frühe Weimarer Republik, die Zeit der Wirtschaftskrise und die NS-Zeit, die mit ihrer auf Autarkie und Rüstung gerichteten Politik alles andere als welthandelsfreundlich war. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor man durch den Eisernen Vorhang das östliche Hinterland, was in den 50er- und 60er-Jahren dazu führte, dass man den Hafen als bedroht empfand. Die Tatsache, dass man immer wieder für die Interessen des Hafens kämpfen musste, hat den Mythos sicher befeuert.
Aber bei diesem Mythos geht es ja nicht nur um blanke Umschlagszahlen.
Nein. Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat sich ein Surplus entwickelt, das man dem Hafen zuschreibt und das sich nicht mehr nur mit wirtschaftlichen Daten begründen lässt. Das hat zu tun mit städtischer Identität. Die Menschen in Hamburg identifizieren sich mit Maritimem, mit Schifffahrt, mit Güter-Umschlag in einer besonderen Art, die vergleichbar wäre mit der Identifizierung der Menschen im Ruhrgebiet mit der Kohle- und Stahlindustrie. Wobei in Hamburg außerdem die Vorstellung des „Tores zur Welt“ eine Rolle spielt, die Idee einer Verbindung nach Übersee. Die romantische Idee, heimlich an Bord eines Schiffes zu gehen und weit wegzufahren, schwingt da sicher mit.
46, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, forscht derzeit zum Strukturwandel des Hamburger Hafens.
Wie wichtig ist die Hafenwirtschaft eigentlich für Hamburg?
Das hängt davon ab, welche Faktoren man wie gewichtet. Was die Arbeitsplätze betrifft, hat der Hafen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung verloren. Die Zahl echter Hafenarbeiter liegt bei 6.000 bis 7.000. Das ist im Vergleich zu Airbus mit 12.000, Lufthansa mit 10.000 und den 16.000 Arbeitsplätzen in Asklepios-Klinik und Universitätsklinikum Eppendorf relativ wenig. Wenn man aber die vom Hafen direkt und indirekt abhängenden Arbeitsplätze mitrechnet, kommt man in Hamburg derzeit auf 125.000 bis 135.000 Arbeitsplätze. Dasselbe noch mal für die Region.
Und wie geht die Kosten-Nutzen-Rechnung aus?
Das lässt sich nicht 100-prozentig fixieren. Denn für jedes Gutachten aus der Wirtschaftsbehörde, das die vom Hafen abhängenden Arbeitsplätze großzügig berechnet, gibt es Gegengutachten der Umweltbewegung. Und die ökologischen Folgeschäden etwa der Elbvertiefungen müsste man natürlich einrechnen. Aber sie lassen sich schwer beziffern. Deshalb unterbleibt das.
Hat die Politik die Investitionen in den Hafen je hinterfragt?
In den 50er- und 60er-Jahren, als man mit dem Wiederaufbau des Hafens befasst war und von der Idee beseelt, man müsse das Vorkriegs-Niveau erreichen, wurde diese Frage nicht gestellt. In den 60er-Jahren, als die Container aufkamen, die größere Investitionen erforderten, wurde sie am Rande diskutiert. Lautstark hat aber erst die Ökologiebewegung in den 70er-Jahren das Thema angesprochen. Das lag auch daran, dass es nicht mehr nur um den Um- und Ausbau des existierenden Hafens ging, sondern auch um Flächenvergrößerung. Damals wurde ja Hamburgs Stadtteil Altenwerder zugunsten des Hafens geräumt.
Gab es nie eine Hafenkrise?
Doch. Als in den 80er-Jahren der Umschlag im Hafen einbrach, sagten Politiker, dass Hamburg auch andere Branchen pflegen müsse. Diese Reden verstummten aber, als der Hafen ab 1989 wieder stark wuchs, und zwar stetig: 2000 gab es 85 Millionen Tonnen Gesamtumschlag. 2005 waren es 126 Millionen. Mit solchen Zuwächsen lassen sich Investitionen gut begründen.
Was waren die Strategien, um das Primat des Hafens sicherzustellen?
In Hamburg hat sich über Jahrzehnte hinweg eine Verflechtung von Politik und Hafenwirtschaft herausgebildet, die sich regelmäßig in personellen Konstellationen zeigt. Ernst Plate, Vorstand der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA), etwa wurde 1953 Hafensenator. Er saß aber nicht im Rathaus, sondern blieb in seinem HHLA-Büro. 1957 wurde er wieder HHLA-Vorstand. Auch Helmuth Kern, von 1966 bis 1976 Wirtschaftssenator, war nachher HHLA-Vorstand. Und der jetzige Wirtschaftssenator Frank Horch kommt, wie sein Vorgänger Ian Karan, aus der Hafenwirtschaft. Diese Verflechtung war stets gewollt – über alle Parteigrenzen hinweg.
Als Ort scheint Hamburgs Hafen trotzdem an Bedeutung verloren zu haben. Sonst hätte man dort nicht die Hafencity gebaut. Ist das eine Verzweiflungstat: überflüssige Hafenflächen zum Wohn-Event umzudekorieren?
Ich würde nicht sagen, dass der Hamburger Hafen jetzt schon an Bedeutung verloren hat und man deswegen etwas anderes inszeniert. Ich sehe eher eine Verschiebung: Das Gelände der Hafencity wurde von Hafenfunktionen entbunden. Dafür kamen in Altenwerder neue Flächen hinzu.
Aber Hamburgs Hafencity inszeniert das Wohnen im Hafen, ohne Hafen zu sein.
Ja, hier wird touristenwirksam der Symbolort Hafen gepflegt. Das ist gewollt, denn man hätte das Areal ja auch zuschütten, planieren und Hochhäuser hinbauen können. Es gab keinen Zwang, das so hafennah zu inszenieren – mit aufgelassenen Becken und Straßennamen, die an das maritime Erbe erinnern. Wobei das Ironische ist: Die letzten echten Hafenaktivitäten sind die Kreuzfahrtschiffe. Genau sie sind wegen ihrer Abgase aber für die Bewohner ein Ärgernis. Da ist die Verklammerung von Hafen-Aktivitäten und Nachnutzung nicht ganz gelungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu