Historiker über die Ökologiebewegung: Selbstgefällige Ökopioniere
Für Joachim Radkau ist Grün die Ideologie des 21. Jahrhunderts. Ohne sie wäre alles viel schlimmer, sagt der Historiker. Doch es werde auch viel geredet und wenig getan.
taz: Herr Radkau, seit einem Jahr regieren die Grünen Baden-Württemberg. Ist die Umweltbewegung an der Macht?
Joachim Radkau: Das ist ein Etappensieg, mehr nicht. Was das am Ende bewirkt, kann man noch nicht sagen.
Aber sie sprechen doch davon, dass es für die Umweltbewegung historische Momente gäbe. Ist Stuttgart so einer?
Es sieht so aus. Es gibt Knotenpunkte in der Geschichte der Ökobewegung, wo ganz viel möglich wird. Das war so um 1970, nach 1990 – und jetzt.
Ist die grüne Bewegung bereit, allgemeine politische Verantwortung zu übernehmen?
wurde 1943 als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. In der Öffentlichkeit ist der Historiker seit seiner 2000 unter dem Titel „Natur und Macht“ erschienenen Geschichte der Umwelt bekannt. Radkaus Buch „Die Ära der Ökologie“ erschien 2011 bei C. H. Beck.
Ich habe oft darüber gelästert, wie die Alt-68er in die Ökobewegung gekommen sind und in ihrer Theorie das ausgebeutete Proletariat durch die ausgebeutete Natur ersetzt haben. Aber sie haben auch viel Bewusstsein und strategisches Denken eingebracht, von denen die Grünen jetzt profitieren.
Grünes Denken ist in Deutschland Mainstream. Grund, vor der Ökodiktatur zu warnen?
Das ist wirklich Quatsch. Nach wie vor ist Wirtschaftswachstum für alle staatlichen Bürokratien der Welt attraktiver als Umweltschutz. Ich sehe eher die Gefahr, dass die Ära der Ökologie in eine Ära des Ökobluffs übergeht. Heute erscheint die deutsche Industrie ja wie eine Dependance von Greenpeace. Da wird viel geredet, aber wenig getan.
Trotzdem meinen viele Menschen, jetzt sei es genug mit dem ganzen Umweltkram.
Wenn man sieht, wie kompliziert das deutsche Umweltrecht ist, kann ich Trotzreaktionen gut nachvollziehen. Besonders den kleinen und mittleren Unternehmen macht die Umweltbürokratie viel mehr zu schaffen als großen Konzernen. Dass das Recht so kompliziert ist, liegt aber auch an den Lobbys, die Ausnahmen ausweiten.
Sie sagen, die Ideologie der Zukunft sei die Ökologie. Ist dann alles in Ordnung?
Ich bin da nicht sicher. Das, was wir heute Umweltprobleme nennen, könnte auch zum Wettlauf um die letzten Ressourcen umdefiniert werden. In den USA etwa läuft seit den 1990ern unter dem Schlagwort „environmental security“ eine Öko-Neudefinition unter dem Einfluss der Militärapparate. Das macht die Sache sehr kompliziert.
Trotzdem bleibt für Sie nach dem Scheitern der Ideologien im 20. Jahrhundert für das 21. nur die Öko-Idee. Das das Ende der Geschichte in Grün?
Jedenfalls sehe ich bisher keine neue Ideologie, die eine umfassende Antwort auf die großen Probleme unserer Zeit liefert. Bei Attac oder Occupy, denen ich eigentlich sehr positiv gegenüberstehe, fehlt es bislang an einem klaren, großen Konzept.
Geht es unter der grünen Lackschicht nicht weiter wie bisher?
Ohne die Umweltbewegung würde wäre alles noch schlimmer. Aber ich stimme zu: Große Ökoworte wie Nachhaltigkeit oder Klimagerechtigkeit könnten verpuffen wie Seifenblasen.
Was ist das Fernziele der Ökos?
Der Ökologismus ist keine Ideologie, sondern ein buntes Spektrum. Ein Ziel bilden sich viele ein, aber das ist ein Grundirrtum. Eine endgültige Lösung ökologischer Problemen kann es nicht geben. Umweltpolitik ist und bleibt Stückwerk.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung empfiehlt eine „große Transformation“ der Industriegesellschaft nach Ökokriterien …
Ich würde den Mund nicht zu voll nehmen, das bringt nur unnötige Gegenreaktionen in Wirtschafts- und Gewerkschaftskreisen. Besser sind konkrete Ziele wie die Tobinsteuer, deren Durchsetzung Chancen hat. Man kann nicht den ganzen Staat ökologisieren. Ökologie bietet keine klaren Normen für alle möglichen Politikbereiche.
In der Debatte um die Zukunft des Kapitalismus kommt die Ökologie nur als grünes Wachstum vor. Ist nicht der Kapitalismus das größte Ökoproblem?
Kapitalismus hat viele Erscheinungsformen. Der klassische enthält durchaus umweltpolitisch positive Elemente: Privateigentum und Erbrecht können nachhaltiges Verhalten fördern. Ein Bauer, der den Hof an seine Kinder vererbt, kümmert sich eher um die Fruchtbarkeit des Bodens als ein Pächter.
Ist der Wachstumszwang nicht die Hauptursache der Umweltzerstörung?
Bei den Klassikern der liberalen Wirtschaftstheorie findet sich kein Zwang zum Wachstum. Im Gegenteil: Da geht es um den Umgang mit begrenzten Ressourcen. Im Schlaraffenland braucht man keinen Markt. Den Fetisch Wachstum verdanken wir US-Präsident Kennedys Berater Walt Whitman Rostow und seinem unglaublich platten Buch „Stadien des ökonomischen Wachstums“ von 1960.
Warum haben die Deutschen diesen Ökofimmel?
Die Sonderrolle ist nicht so groß wie oft behauptet. Die Anti-AKW-Bewegung ist in den USA entstanden, die ersten Bauplatz-Besetzungen fanden in Frankreich statt. Dennoch hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Führungsrolle ausgebildet – auch in der Schweiz und Österreich. Das hat wohl etwas mit dem deutschen Kulturraum zu tun.
Das heißt: Wer Deutsch spricht, denkt grün?
Dafür hat niemand eine definitive Erklärung. In der Belle Époque hatte die Industrialisierung Deutschland und die USA voll ergriffen. Andererseits hingen grad die Deutschen noch an ihrer Gemütlichkeit. Viele empfanden diese Spannung als quälend und meinten, man brauche eine Menge Natur, um nicht das Nervenkostüm zu ruinieren.
Haben die Grünen in Deutschland Geschichte geschrieben?
Jedenfalls ist das Bild der Deutschen in der Welt stark durch die Ökos geprägt. In meiner Jugend war man im Ausland das Nazischwein. Heute bin ich manchmal peinlich berührt, wie sehr wir als Ökopioniere wahrgenommen werden. Man muss da vor Selbstgefälligkeit warnen.
Wie wichtig war die grüne Bewegung für die innere Entwicklung Deutschlands?
Das ist bei den Historikern völlig unterbelichtet. Sicher ist: Ohne die Ökos kann man den Wandel der letzten 50 Jahre nicht beschreiben. Das gilt auch andersherum: Die Stimmung bei den Grünen war ja noch lange: Wir sind umgeben von lauter postfaschistischen Deutschen.
Müssen Ökos links sein?
Schon 1991 hat Winfried Kretschmann in einem Buch geschrieben, warum die Grünen nicht links sein können. Die Begrifflichkeit links/rechts ist doch heute in vielen Punkten nichtssagend geworden. Als links bezeichnen sich doch auch Menschen, die nicht im Alltagstrott und im Konsumschlamassel aufgehen, die kritisch nachfragen oder offener für Neues sind. Das können auch Leute sein, deren sonstige politische oder gesellschaftliche Auffassungen eher konservativ sind.
Warum fühlen sich Umweltschützer immer als Opfer?
Ist das denn noch so? Das Zauberwort der ökologischen Bewegung ist doch „Alternative“. Nicht nur gegen Atomkraft sein, sondern erneuerbare Energien voranbringen. Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem Lamento über Naturzerstörung im 19. Jahrhundert.
Auf jeden Fall ist die Friedfertigkeit der Ökos trotz Brokdorf und Wackersdorf erstaunlich.
Vor allem, wenn man sie mit früheren sozialen Bewegungen wie der Arbeiterbewegung vergleicht. Weltpolitisch betrachtet, fallen die großen Zeiten der grünen Bewegung in eine Zeit der Entspannung: 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, 1970 mit dem Tauwetter im Kalten Krieg, 1990 nach dem Fall der Mauer. Denken Sie an einen guten Namen, der das zusammenbringt: Greenpeace. Grün und Frieden. Dabei gäben manche grünen Ideologien es her, mit Menschenleben großzügig umzugehen. Da wird der Mensch als Krebsgeschwür der Erde bezeichnet. Aber das ist wohl auch eine Frage des Menschentyps. Ökos sind einfach keine Brutalos.
Sie schreiben, eigentlich müssten Ökos Eltern sein. Denen geht die Verantwortung für die künftigen Generationen eher unter die Haut als Kinderlosen.
Das ist natürlich schlecht für mich, ich habe keine Kinder. (lacht). Von der Theorie her stimmt das. Aber Kinderlose oder Singles haben einfach auch mehr Zeit.
Merkt man das der ökologischen Bewegung an?
Auf jeden Fall sieht man, dass die Rolle der Frauen in der Umweltbewegung sehr groß ist. Nach Fukushima waren es in Japan vor allem junge Mütter, die ihre Angst artikuliert haben. Das war auch so in den USA nach Harrisburg und in Deutschland nach Tschernobyl. Die Frauen halten den Laden zusammen.
Trotzdem rede ich jetzt mit Ihnen, einem Mann.
Ja eben. Die Programme, die Organisationskonzepte und die Bücher haben meistens die Männer geschrieben. Die Frauen haben dazu keine Zeit. Von meinen eigenen grünen Impulsen verdanke ich viele meiner Frau. Aber den dicken Wälzer habe ich geschrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts