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Historiker Behringer über Hexenverfolgung„Es war eine Graswurzel-Bewegung“

Der Historiker Wolfgang Behringer räumt mit Mythen über die Hexenverfolgung auf: Nie war sie schlimmer als heute, die Bevölkerung ist die treibende Kraft – und das humanistische Denken der frühen Neuzeit eine Voraussetzung

Beschuldigungen aus dem Volk: Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit. Bild: Miro Poferl
Interview von Benno Schirrmeister

taz: Herr Behringer, in Norddeutschland kommt die Forderung nach Rehabilitierung vermeintlicher Hexen in Mode: Wie bewerten Sie diese Bewegung?

Wolfgang Behringer: Ach, das läuft ja eigentlich schon seit Langem, wenn auch eher auf Sparflamme. Im Anfang ging das von feministischen Gruppen aus. Damals schien es mir noch sehr viel Sinn zu machen. Mittlerweile ist es ein bisschen zur Routine geworden – ein Gedenkpunkt, den man abarbeiten muss.

So negativ?

Ich kann mir schon vorstellen, dass es an den einzelnen Orten sinnvoll ist, wo das von lokalen AktivistInnen getragen wird.

Aber ist das nicht erstaunlich, dass ein historischer Vorgang Jahrhunderte später politische Prozesse in Gang bringt?

Das hat sicher mit der Vielschichtigkeit des Phänomens zu tun. Uns als Wissenschaftler reizt ja auch, dass so viele Disziplinen involviert sind: die Theologie, die Rechtswissenschaften und auch die Anthropologie, denn die Verfolgung von Hexen ist heute ein weltweites Phänomen.

Wie jetzt …?

Ich bin inzwischen sogar so weit zu sagen, dass im 20. Jahrhundert mehr vermeintliche Hexen hingerichtet wurden als in jedem Jahrhundert zuvor.

Bild: Jörg Pütz
Im Interview: Wolfgang Behringer

57, Historiker, Professor für frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, wo er die Arbeitsstelle Kulturforschung leitet. Das Hexen-Thema bearbeitet er seit mehr als 30 Jahren, zugleich hat er zu Klima-, Medien- und zur Brauereigeschichte sowie zur Kulturgeschichte des Sports geforscht. Zu Behringers bekanntesten Veröffentlichungen zählen "Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung" (1998) und die "Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung" (2007)

Wieso das denn, wo doch keiner mehr dran glaubt?

Naja, keiner – bei den letzten Umfragen zum Thema, die allerdings auch schon vergleichsweise alt sind, hatten in Deutschland zwischen fünf und zehn Prozent angegeben, an Hexen zu glauben. Und wenn man neutraler fragt, ob es möglich ist, jemandem Krankheiten oder anderen Schaden anzuwünschen, bejahen das fast 25 Prozent.

Jeder Vierte?

Ja, dieses Restpotenzial gibt es, auch wenn wir nicht bei 95 Prozent liegen, wie in vielen afrikanischen Staaten.

Und dort werden Hexen verfolgt?

Die Zentren der heutigen Hexenverfolgung liegen in Afrika südlich der Sahara, in Südostasien, in Indien und in Lateinamerika – interessanterweise in Ländern, die durchaus an der gegenwärtigen Medienrevolution teilhaben: Auch in Europa finden die Hexenverfolgungen ja eben nicht im vermeintlich dunklen Mittelalter statt – sondern in der frühen Neuzeit, in der neben dem Buch- auch der Zeitungsdruck entsteht. Wir können deshalb seit dem 17. Jahrhundert in Zeitungen nachlesen, wo große Hexenverfolgungen stattfinden. Das Gleiche lässt sich heute in den Schwellenländern beobachten: Googeln Sie mal „witch killing“ – Sie stoßen garantiert auf eine aktuelle Zeitung aus Indien oder einem afrikanischen Land.

In Afrika lagen die Kerngebiete der norddeutschen Missionare. Haben wir die Idee der Hexenverfolgungen exportiert?

Ich habe das mit einem Team untersucht, und das war unsere Anfangshypothese, dass es mit der christlichen Theologie zu tun hat. Denn nach Exodus Kapitel 22, Vers 17 haben wir ja in Gottes Wort den Auftrag, Zauberinnen zu töten. Aber inzwischen bin ich da anderer Meinung.

Warum?

Man findet diese Tötungen auch außerhalb des christlichen Kulturkreises, etwa in sehr traditionellen Gegenden von Papua-Neuguinea, in Ländern mit buddhistischer Tradition, wir haben Belege für Todesurteile wegen Hexerei aus dem islamischen Saudi-Arabien, dort sogar durch ordentliche Gerichte. Was übrigens ein markanter Unterschied ist, weil in den früheren europäischen Kolonien auch in der Unabhängigkeit das koloniale Rechtssystem vorherrschte, in dem die Hexenverfolgung meist schon illegal war …

oder in dem sie wenigstens, wie bei den Briten 1951, in der Endphase der Kolonialzeit abgeschafft wurde.

In diesen Staaten ist Hexerei jedenfalls meist kein offizielles Delikt mehr. Dort gibt es aber Gerichte traditioneller Justiz, etwa Dorfgerichte in Tansania. Die halten sich selber natürlich für legal – und verurteilen Personen, die man für Hexen hält.

Und …?

Die werden dann exekutiert – im Auftrag dieser Dorfgerichte.

Dann spukt vielleicht in der Annahme, die Verfolgung wäre als Glaubenstransfer dorthin gekommen, ein Rest der falschen Vorstellung, der europäische Hexenwahn wäre eine Kirchenangelegenheit gewesen …?

Das halte ich mittlerweile für wahrscheinlich. Die christliche Doktrin war ja eher, dass es sich bei der Beschwörung von Teufeln und Dämonen um Illusionen handeln müsse.

Aber so eindeutig ist die Lehre nicht – es gibt ja doch eine ganze Reihe Theologen, die …?

Ja, dieser Bestandteil der Lehre ist nicht auf große Zustimmung gestoßen. Aber den größten Teil der Hexenverfolgungen haben wir in Deutschland, den Niederlanden oder auch Polen im 16. und 17. Jahrhundert – und zwar rein vor weltlichen Strafbehörden.

Während im katholischen Spanien unter der Inquisition weniger Hexen verbrannt werden als in Holstein?

Das ist die Pointe, ja. Und das betrifft ja nicht nur das heutige Spanien, sondern das gesamte Weltreich von den Philippinen bis Lateinamerika.

Aber welche Erklärung gibt es dann für diese massiven Hexenverfolgungen?

Es muss viel zusammenkommen: Das Rechtssystem muss es zulassen, die Obrigkeiten müssen mitmachen, also die weltlichen, wenn wir an die vielen kleinen Territorialherren denken – und es muss eine treibende Kraft dahinter sein.

Und die wäre?

Seit man vor bald 40 Jahren begonnen hat, die Prozessakten systematisch auszuwerten, ist das immer klarer geworden: Es war eine Graswurzelbewegung. Das gilt zumal für die großen Wellen der Verfolgung …

wie im Mecklenburgischen, wo es nach dem Dreißigjährigen Krieg zu einer echten Hexenprozess-Epidemie mit 2.000 Opfern kommt?

Dahinter stand immer die Bevölkerung als treibende Kraft.

In den Städten bleibt die Zahl der Prozesse klein: In Lübeck wissen wir von nur zwei Todesurteilen, es gab nur eine einzige Verbrennung im damals bedeutenden Emden.

Das ist eine wichtige Beobachtung: Ganz unabhängig von der Konfession finden wir weder in den großen Städten noch bei wirklich mächtigen Fürsten, dass Hexerei eine Bedeutung hat: Für die Reichen und Starken ist das eine Sache von Bauern.

Aber wieso denn das?

Beim Verschwinden der Hexenverfolgungen spielt die Entkoppelung der Städter von der Urproduktion eine Rolle: Ab dem 19. Jahrhundert haben die meisten Konsumenten von Milch oder Eiern mit deren Produktion nichts mehr zu tun – und auch nicht mehr mit den eigenartigen Krankheiten, die in den Ställen auftreten. Zugleich schreitet die Anonymisierung voran: Sehr oft finden wir am Beginn von Hexerei-Beschuldigungen ja einen Schadensfall von der Art, dass vielleicht die Nachbarsfrau in die Wiege geschaut und ’ei, dutzidutzidutzi!‘ gemacht hat – und am nächsten Tag ist das Kind tot.

Und kurz darauf brennt dann die Nachbarin?

Aus derartigen Zusammenhängen bilden sich in Deutschland Klägergruppen, sogenannte Ausschüsse, die an die Obrigkeit herantreten, mit dem Auftrag, die Schuldigen zu bestrafen. Dass Hexen verbrannt wurden, war ein demokratisches Verlangen.

Macht das das historische Phänomen anfällig für Theorien, mit der die Hexenverbrennung selbst auf ein Komplott zurückgeführt wird – wie die prominente These, das Ganze sei eine geplante, bevölkerungspolitische Maßnahme, die vor 30 Jahren die Bremer Professoren Gunnar Heinsohn und Otto Steiger vorgetragen haben?

Ach, die. Die haben ja nur die ältere Sichtweise des 19. Jahrhunderts neu aufgelegt.

Die ältere Sichtweise?

Ja, die Umwertung der Hexen. Die geht einerseits auf die Brüder Grimm zurück, die in den Hexen weise Frauen der Germanen sehen wollten, andererseits glaubte man im 19. Jahrhundert, von liberaler Seite her, an die ganz große Verschwörung: Die Hexerei ist ein Verbrechen der Kirche – das war die These von Jules Michelet. Das bildet den Hintergrund der Verschwörungstheorie von Heinsohn und Steiger.

und die völkische Hexenbegeisterung der Nazis wäre das Bindeglied zum 19. Jahrhundert?

Nein, es ist generell die Suche nach einer Obrigkeit, die Verfolgungen inszeniert – um die Bevölkerung zu unterdrücken.

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8 Kommentare

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  • O
    Osenbruggerin

    In der Stadt Osnabrück gingen die Verfolgungswellen Ende des 16. und Mitte des 17. Jahrhunderts definitiv nicht von der Bevölkerung aus, sondern wurden von den Bürgermeistern und dem Stadtrat forciert. Es sind haarsträubende Ratsprotokolle sowie Prozessunterlagen des Reichskammergerichts Speyer erhalten, die dies zeigen.

    An die These, die Ursache sei Verblendung und Aberglaube der einfachen Bevölkerung gewesen, glaube ich nicht mehr. Ich suche mehr nach der Antwort auf die Frage: Cui bono?

    • @Osenbruggerin:

      Grundsätzlich ist alles möglich gewesen. Die Beobachtung von Behringer zielt gegen eine einfache Gleichsetzung von Macht und Hexenjagd, die Priestertrugsmythologie. In vielen Regionen gab es die Hexenjagd als Bottom-Top-Phänomen. Insgesamt kam es allerdings auch zu erheblichen Top-Bottom-Phänomenen, die Behringer hier wohl aus journalistischen Zwängen nicht ausführen kann. Cui bono ist eine verschwörungstheoretische Frage, die Ideologiekritik abwürgt, und gegen die Behringers Einwand von den "demokratischen" Hexenjagden sich wendet: Es war eben nicht instrumentell, sondern Leute glaubten tatsächlich an Hexen, auch und gerade Eliten. Bei Kurt Baschwitz finden sie natürlich auch Belege für Bereicherung, ebenso für Widerstand von unten. Es war eben vieles gleichzeitig möglich und manches ist einfach falsch: Etwa der flache Link Katholizismus-Hexenjagden. Der auch nicht dazu führen sollte, Thomas von Aquins Rolle auszublenden oder die anderer Eliten. Aber in Italien und Spanien gab es so gut wie keine Hexenjagden.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Der Hexenwahn grassiert heute genauso wie früher. Bei bestimmten Prozessen braucht man keine Beweise. Aber egal wie absurd die Beschuldigungen sind, sie werden trotzdem geglaubt. Je aberwitziger, desto besser. Wer etwas dagegen sagt, gerät selbst in Verdacht.

     

    Und die vielen TV-Serien und Kinofilme über Hexen, Vampire und Werwölfe beweisen ebenfalls, welche Hirngespinste in der Gesellschaft existieren. In der westlichen Welt ist es kaum besser, als in Afrika.

  • N
    Nordlicht

    modern -

    tja, der Schein trügt …

     

    kleiner Tipp -

    einfach nochmals in Ruhe durchlesen

    ist keine Hexerei

  • C
    catinska

    Ich habe vor einem halben Jahr eine Mail bekommen, in der mir ein Mann schrieb, dass solche Frauen wie ich früher als Hexen verbrannt wurden. Heute gäbe es ja da andere Wege der Vernichtung. So sieht die Hexenhetze heute aus. Ich arbeite als Heilerin.

    • P
      Piet
      @catinska:

      @ Catinska:

       

      Wie heißt denn Ihr Familiar?

  • MF
    Moderne Frau

    Nie war die hexenverfolgung schlimmer als heute?

    Gnädigster Autor: Was sind Hexen? Und betreiben Sie nicht ein wenig Geschichtsklitterung? Die sogenannten Hexen waren im europäischen Mittelaler und in der Neuzeit ein Thema. Aber warum müssen Sie dss heute, nach dem Tag der Gleichberechtigung für Frauen (8. März) thematisieren?

    Mir schient, dass ein Mann aus welchen Gründen auch immer die Vergangenheit zwecks beruflicher Ambitionen aufrollt ...

    • @Moderne Frau:

      Ich glaube, Herrn Behringer zu unterstellen, er würde absichtlich das Thema gerade am Frauentag anbringen wollen, findet er sicher lustig. Tatsächlich ist es so, dass kein Frauentag ohne die von Behringer und anderen kritisierten Identifikationen mit "den Hexen" stattfinden kann. Und ja: Nie forderten Hexenjagden mehr Todesopfer als in den letzten 50 Jahren. Das wird auch am Rande des etwas kurzen Interviews deutlich gesagt. Mehr lesen können sie dazu in Behringers "Witches and Witch-hunts". Oder via google, wie er es empfiehlt, ich möchte youtube hinzufügen, einige eher zynische Individuen filmten sogar Hexenjagen live, in Kenia, via AlJazeera.