: Hinterwäldler sägen an der Stromtrasse
■ Gemeinde Schönwalde klagt gegen die Stromtrasse/ Antrag auf Baustopp eingereicht/ Bereits zwei Kilometer lange Schneise durch Forst geschlagen
Schönwalde. Bei diesem Namen ist das natürlich kein Wunder. Ein Wald trennt Schönwalde vom Berliner Stadtbezirk Spandau. Von Wald ist der Ort umgeben. Und eigentlich ist Schönwalde nichts anderes als ein Wald. Praktisch alle Grundstücke im Ortsteil Schönwalde-Siedlung sind von meterhohen Kiefern bestanden. Einmalig in Deutschland sei dieses Ortsbild, sagt Hartmut Schenk (SPD), Vizebürgermeister der 3.200-Seelen-Gemeinde.
Damit die Bäume weiter in den Himmel wachsen, sägen die Hinterwäldler jetzt an Strommasten. Am Freitag hat die Gemeinde beim Kreisgericht Potsdam-Stadt Klage gegen den Bau der Stromtrasse eingereicht, die nach alten Verträgen Westdeutschland und West-Berlin verbinden soll. Nach den bisherigen Plänen würde die Hochspannungsleitung quer durch den Schönwalder Forst und über einen Acker zwischen den beiden Ortsteilen Schönwalde- Dorf und Schönwalde-Siedlung führen. »Das wäre eine Katastrophe«, sagt Schenk. Um einen Baustop zu erzwingen, reichte deshalb ein Westberliner Anwalt im Auftrag der Gemeinde den Antrag auf Einstweilige Verfügung ein.
Am 3. September wurden die nichtsahnenden Schönwalder von einem Schreiben der Energiebau GmbH (früher: VEB Energiebau) überrascht, in der sie den Beginn der Bauarbeiten für den 10. September ankündigte. Mittlerweile haben Forstarbeiter eine fast zwei Kilometer lange und fünf Meter breite Schneise durch den Schönwalder Forst am Westrand der Gemeinde geschlagen. Später, so hat es Schenk zumindest vom örtlichen Förster gehört, soll die Schneise sogar 70 Meter breit werden. An einigen Stellen wurden bereits Eisenrohre als Mastenfundamente in den Boden gesenkt.
In ihrem Schreiben beruft sich die Energiebau auf eine »Standortgenehmigung« vom 17.8.88. Wer diese Erlaubnis ausgestellt hat, verrät das Schreiben nicht. Im Bürgermeisterbüro von Schönwalde fanden die Gemeindeoberhäupter keinerlei Unterlagen vor. Auch ein Vertrag, den die Energiebau mit der örtlichen LPG Pflanzenproduktion Dallgow abgeschlossen hat, wird von Schenk in Zweifel gezogen. Die betroffenen Grundstücke seien von der LPG seinerzeit von Privateigentümern eingezogen worden, die ihren Grundbesitz nun zurückfordern wollten. Ihnen drohten »Millionenverluste«.
Die Gemeinde will die Hochspannungsleitung nicht prinzipiell verhindern, sondern lediglich eine Trassenführung erzwingen, die Dorf und Wald nicht schädigt. Schenk schlägt dafür eine existierende Schneise und den ehemaligen Grenzstreifen vor. Weil die Fortsetzung der Trasse auf Westberliner Gebiet bisher nur auf dem Papier existiert, wäre durchaus Zeit für Neuplanungen. Nach den 1988 zwischen der Westberliner Energiegesellschaft Bewag, der Hannoveraner Preussen Elektra und der DDR-Außenhandelsfirma Intrac geschlossenenen Verträgen sollte die Stromtrasse zwischen Helmstedt und Berlin laut Plan Ende 1991, spätestens aber im Sommer 1992 fertig werden. Mit der Westberliner Anschlußleitung ist die Bewag jedoch bereits mit zwei Jahren im Verzug. Da der Senat nach langem Koalitionsstreit zwischen SPD und AL erst im Dezember eine Freigabe erteilte, werde die Trasse in West-Berlin erst im Herbst 1993 fertig, sagte Bewag- Sprecher Thomas Möller gestern zur taz. Am 22. Oktober will der Bewag- Aufsichtsrat endgültig über die nötigen Investitionen entscheiden. Der Baubeginn ist für März 1991 angesetzt. hmt
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