■ Hinterbank: Der unbewußte Cramer
Im Arbeitsalltag des Abgeordnetenhauses hört man viele Stimmen: Die Stimme der Vernunft streitet mit den polemischen Wortmeldungen, die kluge Analyse wetteifert mit dem ätzenden Zynismus, und oft schmerzt als Hintergrundrauschen in den Ohren das bürokratische Geleier. Doch am Mittwoch meldete sich im Verkehrsausschuß wieder einmal die seltene Stimme des Unterbewußten lautstark zu Wort. In der Debatte um das Semesterticket für die BVG forderte der grüne Verkehrsexperte Michael Cramer mit der ihm eigenen Vehemenz, das StudentInnenticket solle endlich eingeführt werden, und zwar „so schnell wie möglich, zum Wintersemester 68/69“.
Erheiterung im Saal, war dem Abgeordneten doch mal eben so die Zeitrechnung um eine ganze Generation verrutscht. Oberflächlich war der Lapsus denn auch nur ein Zeichen dafür, daß das Semesterticket bereits seit Jahren von allen gewollt, aber von niemandem umgesetzt wurde. Grabe man allerdings tiefer, gab Cramer hinterher zu, könne das durchaus mit seiner Vergangenheit als 68er zu tun haben: Bereits damals habe er als 19jähriger Abiturient aus Ennepetal bei Dortmund gegen die Große Koalition gekämpft. „Meine erste Demonstration war die Veranstaltung gegen die Notstandsgesetze von CDU/SPD 1968 in Bonn“, sagt Cramer, der ein Jahr später als Schulsprecher das erste Teach-in an seiner Schule anführte.
Tief beeindruckt habe ihn und sein Unterbewußtsein auch die „Rote Punkt“-Aktion 1968 in Bremen: Aus Protest gegen die Fahrpreiserhöhungen hatten Studenten per roten Punkt an den Autos signalisiert, daß sie Anhalter mitnehmen wollten. Eine Maßnahme, die den Kämpfer für eine Verkehrspolitik jenseits des Autowahns geprägt hat: „Ich erinnere mich noch, wie unser Lehrer sagte, zum erstenmal habe damit öffentlicher Protest zur Rücknahme einer behördlichen Maßnahme geführt.“ Bernhard Pötter
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen