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Hinter Büschen, hinter Hecken Agenten sich verstecken

■ Malachi Martins „Die Macht und die Herrlichkeit - Der Vatikan-Roman“

Das Buch, von dem hier die Rede sein soll, soviel vorweg, dürfte allen Liebhabern von Agentengeschichten, von gesellschaftlichen Verschwörungstheorien etc., kurz: einem qualifizierten Leserkreis, der von Enno von Löwenstern über Werner Raith und Karl Heinz Deschner bis hin zu Karl Heinz Roth reicht, viel Freude machen. Im Untertitel des Buches Die Macht und die Herrlichkeit des irischen Exjesuiten Malachi Martin heißt es: „Der Vatikan-Roman“, wobei ich das so deute, daß „Der“ fettgedruckt zu verstehen sei.

Mit literarischen Erwartungen darf man an die Lektüre dieses „Romans“ nicht herangehen: Es knallt in allen Fugen, und dort, wo nicht das reale Vorbild den Gang der Handlung skandiert, bewegt sich der Autor mit traumwandlerischer Sicherheit von einem Klischee zum nächsten. Unterstrichen wird dieser Eindruck noch durch das oberflächliche Lektorat, welches nicht zu verhindern vermochte, daß nahezu jede italienische Formulierung schlichtweg falsch ist. Es handelt sich um eine Kolportage, die, nur unbeholfen in eine literarische Form gepreßt, die Geschichte des Vatikans von 1945 bis in die Jetztzeit unter verschwörungstheoretischem Gesichtspunkt zum Thema hat.

Als solche aber ist die Sache gut gebaut. Der Vatikan hat mit dem definitiven Verlust seiner weltlichen Macht 1870 durch die Beendigung seiner Existenz als eigenständiger Staat - ein Bündnis mit der internationalen Loge der Freimaurer geschlossen, die das Finanzkapital beherrschen. Dieser „Pakt“ ist nur wenigen bekannt, seine Hüter sind die Della Valle, eine Familie, die seit jeher dem Vatikan treue Dienste geleistet hat. Ihre Rolle als Hüter des Paktes gewährt den Della Valle sogar die Macht eines Vetos gegen den Papst. Das Bündnis mit dem „bösen Mammon“ und der weltlichen Macht wirkt letztlich zersetzend auch auf den Klerus, erstaunlicherweise nicht auf den aktuellen Hüter des Pakts, Guido Della Valle; aber irgendwo muß ja auch das Gute seinen Platz haben. Es wimmelt von Agenten des KGBs in Kardinalsroben, von Prälaten im Dienst des internationalen Mammons. Bewaffnet man sich mit einem der zahlreichen populären Büchlein zur jüngeren Geschichte Italiens, dann wird man sie unschwer allesamt entdecken: die De Gasparis, Tambronis, Licio Gellis, die Päpste von Pacelli (Pius XII.) bis Karol Woityla (Johannes Paul II.).

Die großen Skandale (nicht nur) der italienischen Nachkriegsgeschichte kommen vor: Sindona, der Zusammenbruch der Banco Ambrosiano und der angebliche Selbstmord von Roberto Calvi unter einer Themsebrücke, die Verbindungen zum IOR (i.e. Istituto per le opere religiose Vatikanbank) und ihrem Chef Marcinkus. Die Roten Brigaden und der Jesuit Boff mit seiner Befreiungstheologie werden ebensowenig ausgespart wie der ultrakonservative Erzbischof Lefebvre (sehr positiv, weil er an der geistlichen Tradition festhält und kein Opportunist in Fragen der Ökumene ist). Im Zentrum aber steht der Skandal um die Loge P2 (von Licio Gelli), der es gelungen war, führende Köpfe aus Militär, Wirtschaft und Politik unter ihren Einfluß zu bekommen. Und die P1, was nichts anderes ist als die von vielen immer wieder vermutete cupola (die organisierte Spitze, wo organisiertes Verbrechen, also mafia,'ndrangheta und camorra, und politisches Komplott zusammenfließen), durch die der enorme Einfluß einer an sich so blassen Persönlichkeit wie Licio Gelli überhaupt erst verständlich würde. Für Martin jedoch ist nicht Giulio Andreotti (wie das italienische und ausländische Journalisten vermuteten und vermuten) der Schlußstein, sondern eine kleine Freimaurerelite des internationalen Finanzkapitals, die den „Pakt“ mit dem Vatikan aufgekündigt hat und jetzt sogar Kommunisten gegen katholische Widerstandsbewegungen wie Solidarnosc unterstützt, denn ihr Interesse sind stabile realsozialistische Staaten als Billiglohnländer. So fügt sich langsam das Mosaik...

Malachi Martins Roman erweitert es uns um eine kaum zugängliche Perspektive, nämlich die aus dem Innern des mächtigsten Zirkels im Vatikan. Strategien von Administrationen und Päpsten werden aus der Perspektive dieses „Paktes“ und des Wissens um ihn durchdekliniert - und verworfen. Wer einen Pakt mit dem Mammon schließt - und das haben seit 1870 nach Martin alle Päpste bis einschließlich Karol Woityla -, der setzt zwangsläufig die geistliche Macht der „einen, apostolischen, katholischen Kirche“ aufs Spiel. Logisch, daß Albino Luciani, der 1978 gewählte Papst Johannes Paul I., hier ein Mordopfer dieser internationalen Mesalliance des Bösen und ihrer Helfer auf höchster Ebene im Vatikan ist, die eine Verurteilung des Marxismus verhindern will. Aber auch das ist im übrigen nicht völlig ins Blaue geschossen: Albino Luciani, der im Sommer 1978 bei guter Gesundheit zum Papst gewählt wurde, geriet schnell wegen seiner angeblichen administrativen Unfähigkeit und seiner Neigung zum Frömmeln ins Kreuzfeuer der Kritik selbst in höchsten Kurienkreisen. Als er nur zwei Monate nach seiner Wahl starb, wurden sofort Mordverdächte laut. Aber Malachi Martin ist, was die Zukunft der katholischen Kirche anbelangt, kein totaler Defaitist: Nach dem von ihm für Ende der achtziger Jahre prospektierten Tod von Papst Woityla wird mit dem amerikanischen Erzbischof Richard Lansing, dem Heroen dieser Agentengeschichte, endlich ein Kleriker zum Papst gewählt, der den Pakt zerreißt und sich vornimmt, die Kirche wieder zu ihren Ursprüngen als geistlicher Macht zurückzuführen.

Was soll man nun sagen zu einer 500 Seiten langen Kolportage? Ist es nur das billige Ausweichen vor der journalistischen Recherche, oder steckt mehr dahinter? Und warum gibt es solche Geschichten immer nur anderswo, niemals aber hierzulande? Die Geschichte des Ablebens der Zeugen in der HS-30-Schützenpanzeraffäre oder auch die mysteriösen Tode von Stammheim sind offensichtlich so sehr durch Verbote und Sanktionen der Obrigkeit belegt, daß Recherchen fast unmöglich sind. Mit Hilfe der Kolportage, in diesem Fall gewissermaßen eine Art Sklavensprache, also eine listige Kunst, in der die Deutschen vielleicht einfach nicht so bewandert sind, kann man etwas sagen, was ansonsten unmittelbar eine Reaktion der Autorität auslösen würde, in einer auf dem Autoritätsprinzip aufgebauten Institution wie dem Vatikan und der katholischen Kirche zumal.

Allerdings, eine Frage erhebt sich nach der Lektüre: Warum wurde die Entführung und Ermordung Aldo Moros ausgelassen in einem Roman, der sonst jeden größeren Skandal der italienischen Politik abhandelt? Nachdem man 500 Seiten voller Intrigen und Komplotte, voller versteckter Fingerzeige und sekundärer Effekte, die nur dem wirklich Eingeweihten verständlich sind, hinter sich gebracht hat, muß der Zweifel erlaubt sein, ob es sich nicht auch bei diesem zweifellos von einem informierten Autor verfaßten Buch um einen versteckten Fingerzeig handelt. Aber zu welchem Zweck? Sollte etwas an der Hypothese dran sein, daß Kirchenkreise ihre Hand im Spiel hatten bei der Entführung und Ermordung von Aldo Moro? Sollte hier gesagt werden, auch diesen Sack könnten wir aufmachen? Und vielleicht ist ja Malachi Martin nur ein Pseudonym?

Kurzum, wem derlei Fragen Spaß machen, für den garantiert die Lektüre von Die Macht und die Herrlichkeit einen anregenden Sonntag. Im Gegensatz zum Verschwörungstheoretiker wäre dem Literaturliebhaber vielleicht doch eher Jack Londons Erzählung Die Freunde des Midas zu empfehlen. Auch hier steht die Verschwörung des Bösen und des Mammons in Gestalt der Agenten des Midas, die die Gesellschaft durch die wahllose Androhung und Exekution von Bluttaten erpressen wollen, im Mittelpunkt. Am Ende verschwimmt die Grenze von „natürlicher“ Kriminalität und Verschwörung: Das Böse ist immer und überall. Versöhnung und Erlösung gibt es bei Jack London jedoch nicht. Dafür hat er sich auch mit 15 Seiten begnügt.Ulrich Hausmann

Malachi Martin: Die Macht und die Herrlichkeit. Der Vatikan -Roman. Diana-Verlag, 536 S., 42 DM

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