piwik no script img

Hinrichtung in TexasBehindert, Täter, Opfer

Marvin Wilson, der in Texas hingerichtet wurde, hatte die geistigen Fähigkeiten eines Sechsklässlers, wie sein Anwalt betonte. Dem obersten Gerichtshof von Texas war das egal.

In Texas haben die Gegner der Todestrafe nicht viel zu sagen. Bild: dapd

BERLIN taz | Aufgewachsen unter ärmsten Verhältnissen im Osten von Texas, galt Marvin Wilson unter seinen Klassenkameraden als Trottel. Er konnte sich nicht die Schuhe zubinden, konnte nicht rechnen, und noch als Erwachsener galten seine Fähigkeiten, etwas aufzuschreiben, mit denen eines Erstklässlers vergleichbar. Vor acht Jahren unterzog er sich einem IQ-Test – und schnitt mit 61 Punkten ab. Eigentlich gilt alles unter 70 als schwer geistig zurückgeblieben.

Nicht so dem obersten Gerichtshof von Texas. Der erlaubte am Dienstag die Hinrichtung von Marvin Wilson, heute 54 Jahre alt, in der Todeskammer von Huntsville, Texas.

Schon als Jugendlicher war Wilson kriminell geworden, war mehrfach wegen Diebstählen verurteilt worden, dealte mit Crack. 1992 verpfiff ihn ein Informant der Polizei, die in Wilsons Wohnung 24 Gramm Kokain sicherstellte – vier Tage später war der Informant tot, per Genickschuss, und Wilson wurde des Mordes angeklagt. Zwar gab es keine Beweise dafür, dass er und nicht sein Komplize Terry Lewis die tödlichen Schüsse abgab. Doch dessen Ehefrau sagte vor Gericht aus, Wilson habe ihr gegenüber gesagt, nicht Terry, sondern er selbst habe geschossen. Lewis wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt, Wilson zum Tode.

Seine geistigen Fähigkeiten entsprachen zu diesem Zeitpunkt denen eines Sechstklässlers. Als Wilson mit 23 Vater geworden war, sah seine Schwester ihn am Daumen lutschend wie ein Kleinkind. Doch alle wissenschaftlichen Analysen, die die Verteidigung vorlegte, wurden von der Staatsanwaltschaft ignoriert, der IQ-Test als „falsch durchgeführt“ abgebügelt, ohne dass aber je neue Untersuchungen durchgeführt worden wären.

Laut einem Urteil des obersten Gerichtshofs der USA aus dem Jahr 2002 dürfen Menschen mit geistiger Behinderung nicht hingerichtet werden. Texas hat dieses Urteil nie umgesetzt – der republikanische Gouverneur Rick Perry persönlich verhinderte das per Veto. Wilsons Gnadengesuch, seine letzte Chance, lehnte Perry ab, wie alle zuvor. Am Dienstagabend um 18.27 Uhr Ortszeit wurde Marvin Wilson für tot erklärt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • J
    joss

    AUFSCHREI

    Bin ich inzwischen sooooo schwerhörig, dass ich den AUFSCHREI der IMFG (internationale Gesellschaft für MENSCHENRECHTE)überhört habe?

    Bei den Meldungen von AI konzentriere ich mich zur Zeit sehr auf Nah-Ost.

    Meine Schuld, wenn ich keine Verurteilung gelesen habe!

    Habe ich die (geflüsterten?) Proteste unseres Aussenministers überhört?

    Und die Proteste des z.Z.amtierenden Bundeskanzlers Rösler überlesen, überhört, vielleicht auch nicht wahrnehmen wollen?

    Menschenrechte für ALLE!

    Nicht nur für Pussy-cats und Julia Timoschenko!

    WILSON IST HINGERICHTET!

  • WD
    Was denn nun ?

    Entsprechen seine Fähigkeiten nun denen eine Sechstklässlers oder nicht?

    Wenn ja, dann kann er sich nicht nur die Schuhe zubinden, er kann auch lesen, schreiben, beherrscht sämliche Grundrechenarten im Kopf sowie schriftlich sowie Bruchrechung.

     

    Nach deutschem Recht wäre das alles wumpe. Strafmündig ist man erst ab 14 und Sechstlässler haben in ihrer überwältigenden Mehrheit dieses Alter noch nicht.

     

    In den USA können aber auch Kinder nach Erwachsenenrecht verurteilt werden. Zum Beispiel 12jährige Sechstklässler. Das wäre nach US-Recht völlig in Ordnung.

     

    Ich teile die Auffassund des US-Rechtes nicht, aber entscheidet Euch mal!

    Entweder er ist auf dem Niveue eines Sechtklässlers und schuldig, dann ist der Fall nach US-Recht vollkommen unauffällig.

    Oder er ist entweder nicht auf dem Niveau eines Sechstklässlers (sondern deutlich darunter) und / oder seine Schuld steht in Zweifel (was ja der Fall zu sein scheint, also lasst das ganze andere Gesülze doch einfach weg!).

     

    Einfach nur auf total rührselig mchen reicht der taz.

    Scheißegal, ob es im konkreten Fall darauf ankommt.

     

    Spitzenleistung mal wieder.

    Würg.

  • J
    jalaxx

    Barbaren

  • BG
    Bernd Goldammer

    Und dieses barbarische Land will der Welt Menschenrechte beibringen? Es ist eine wiederliche Heuchelei.Frau Clinton und Herr Obama sollten sich für diese Perversion schämen.

  • W
    wernerinitaly

    Das ist sehr traurig, unmenschlich und ungerecht, wie sich das amerikanische Justizsystem und seine Politiker hier verhalten. Abgesehen davon, dass man überhaupt die Schuld dieses Menschen bezweifeln muss.

     

    Aber was soll man sagen? Es gab schon viele ähnliche solcher Berichte, man liest auch über die Gefängnisindustrie usw. ganz zu schweigen von Guantanamo, systematischer Folter usw.

     

    Normalerweise müsste man die diplomatischen Beziehungen zuu so einem Unrechtsregime abbrechen, oder so.

     

    Aber dazu wird es nicht kommen, nicht einmal wenn man die schmutzigen Finger Amerikas in der Geschichte anderer demokratischer Länder (Chile usw) mit dazu in Rechnung stellt.

  • RW
    Rü Witten

    "Eigentlich gilt alles unter 70 als schwer geistig zurückgeblieben." - finde ich sehr unglücklich formuliert! Es könnte der Eindruck entstehen, dass Menschen mit einem geringen IQ eher Objekte als Subjekte sind...

  • GO
    George Oberle

    Gouverneur Rick Perry sollte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Einreiseverbot in die EU erhalten. Menschenrechte müssen global für alle Menschen gelten und deren Verteidigung auch gegen Politiker sogenannter "befreundeter Nationen" durchgesetzt werden.

  • CG
    C. Gerhardt

    Jungs/Mädels................ ihr entwickelt euch hier immer mehr zu gesinnungsfaschos......... denkt mal drüber nach..... wie war das noch: der neue faschismus gibt sich als antifaschismus aus... oder s.ä.? schalom und oi

  • WB
    Wolfgang Banse

    Todesstrafe gehört abgesdchafft

    Die Todesstrafe sollte weltweit abgesachafft werden.

    Einen gehandicapten Menschen mit einem IQ unter 70 zum Tode zu verurteilen,entbehrt jeder menschlichen Einsichtnahme.