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Archiv-Artikel

Himmlisch

MUSIK ALS ERSCHEINUNG Ein spät veröffentlichtes Album des großen Songwriters Paddy McAloon entpuppt sich als große Huldigung an die spirituelle Kraft von Musik

Demütig singt McAloon: „Music is a princess, I’m just a boy in rags“

VON ANDRÉ BOSSE

Als der Beach-Boys-Mastermind Brian Wilson 1966 das Wagnis einging, mit Hilfe himmlischer Popsongs auf seinem Konzeptalbumprojekt „Smile“ den geneigten Göttern einen Finger zu reichen, war der Engländer Paddy McAloon gerade neun Jahre alt. Fünf Jahre später – Wilson versank immer tiefer in seinem kalifornischen Drogenwahnsinn, „Smile“ war nie fertiggestellt worden – war McAloon ein popbegeisterter nordenglischer Teenager, der zum ersten Mal das rätselhafte Funkeln bemerkte, das von Brian Wilsons genialischen Songfragmenten ausging.

McAloon hatte sich damals unsterblich in die angloamerikanische Popkultur verliebt und mit seinem kleinen Bruder Martin selbst eine Band namens Prefab Sprout gegründet. Immer wenn McAloon in einem Musikmagazin etwas über das Scheitern von „Smile“ las, spürte er ein seltsames Kribbeln. „Es war schon paradox: Da gab es ein ganzes Album mit Musik von Brian Wilson, geschrieben am Höhepunkt seines kreativen Schaffens – und dann enden die Aufnahmen im Chaos.“ „Smile“ war nicht nur für McAloon der heilige Gral des Pop: Wilsons Opus magnum über die spirituelle Bedeutung von Musik, torpediert von eifersüchtigen Bandkollegen und Managern, denen schlicht der Zugang zu visionärer Popmusik fehlte, gibt bis heute Rätsel auf.

Ein Sprung in die frühen Neunzigerjahre: Prefab Sprout hatten 1990 ihr erfolgreiches Album „Jordan: The Comeback“ herausgebracht, eine kurvenreiche Poprevue über mystische Orte, legendäre Figuren und Liebe als Motor allen menschlichen Handelns. McAloon schwebte vor, das nächste Werk der einzig ihm bekannten Kraft zu widmen, die noch weit über all dem steht: eine Lobpreisung der Musik, auf die „Stimme der Erhabenheit“, wie er es formuliert. McAloon beteuert zwar, er habe es nicht darauf angelegt, aber die Parallelen zwischen diesem, „Let’s Change The World with Music“ betiteltem Werk und „Smile“ sind unüberhörbar.

Suche nach Transzendenz

Wie Brian Wilson strebte auch McAloon nach Transzendenz, nahm auf dem Weg dorthin jedoch wesentlich weniger Drogen. Stattdessen studierte er die Sprache der Gospelmusik, suchte in der afroamerikanischen Religiosität nach Seelenheil und erinnerte sich an den Iren Van Morrison, der 1968 mit dem Album „Astral Weeks“ an den Wolken gekratzt hatte, in dem er mit freigeistigen Jazzern an seiner Seite Lieder über die Wiedergeburt einspielte.

Erste Demos für „Let’s Change the World with Music“ wurden 1992 fertiggestellt. Ein Versuch, die Songs mit seiner Band aufzunehmen, scheiterte allerdings. Wohl auch, weil die Plattenfirma nicht gerade jubelte, als sie hörte, Prefab Sprout hätten vor, ein Dutzend Spirituals über eine Gottheit namens Musik zu veröffentlichen. McAloon: „Ich habe den ‚Smile‘-Mythos begierig aufgesogen. Nur leider zog ich daraus die falschen strategischen Schlussfolgerungen.“ Er ließ die Demos verstauben. Enttäuscht, aber ohne Groll. Es reichte ihm, dass er um diese Lieder wusste.

Jetzt endlich, 17 Jahre später, kennen wir sie auch. Der Inhaber des kleinen englischen Indie-Labels Kitchenware, für das Prefab Sprout ihre allerersten Platten aufnahmen, überredete McAloon, die alten Bänder zu entstauben. Es gab eine sensible klangtechnische Politur – und jetzt heißt es tatsächlich: Transzendenz! Musik als Erscheinung. Lieder über Engel, Mozart und die Liebe. Und ein Sänger, der zu den herrlichen Harmonien, die er erfunden hat, demütig singt: „Music is a princess, I’m just a boy in rags.“

Dieser Junge in Lumpen ist mittlerweile ein 52 Jahre alter Mann mit langer Krankenakte: Erst die Augen, seine Netzhaut löste sich, was zu McAloons zeitweiser Erblindung führte. Dann ein Hörsturz und sechs Monate rasender Lärm in seinem Kopf. Schließlich eine schwere Neurodermitis. Nun schützt er sich mit weißem Bart, undurchdringlicher Sonnenbrille und Hut. Er sagt, am „Smile“-Projekt von Brian Wilson habe ihn vor allem dessen Versuch fasziniert, einen höheren Wesenszustand anzustreben und von dem, was er dort sieht, mit Musik zu erzählen. Ein visionäres Projekt, für das Wilson teuer bezahlt hat.

Auch Paddy McAloon wollte dem Geheimnis von Musik so nahe wie möglich kommen. „Let’s Change The World with Music“ ist nun seine Aufforderung, Musik und die Kraft, die sie spenden kann, wieder ernstzunehmen. Sein Album erscheint zwar hoffnungslos verspätet – aber doch zur rechten Zeit. Zeit ist für Paddy McAloon ohnehin ein relativer Begriff. Er bereitet nun in aller Ruhe eine weitere Entstaubung vor: ein biografisches Album über Michael Jackson.

Prefab Sprout: „Let’s Change the World with Music“ (Kitchenware/Edel)