: Hilfe statt Heroin?
Ein Angeklagter will alles nur aus Liebe und sowieso nichts Illegales getan haben ■ Von Stefanie Winter
Über besonders gutes Heroin soll der Angeklagte verfügt haben und über ein besonders mieses Gehabe im Umgang mit Frauen, zumindest mit einer: Der drogenabhängigen Sonja S. soll er guten Stoff für wenig Geld verkauft und ein Messer an die Kehle gesetzt haben, um sie zum Anschaffen zu zwingen, heißt es im Urteil des Amtsgerichts. Zu zweieinhalb Jahren Haft hatte es den 25jährigen Lütfü G. Ende vergangenen Jahres verurteilt. Gestern begann die Berufungsverhandlung vor einer Strafkammer des Landgerichts.
Rechtsmittel eingelegt hatte der Angeklagte, der – so schreibt er in einem Brief an Sonja S. – bis heute nicht weiß, warum er im Gefängnis gelandet ist. Zwei Fehler lediglich habe er begangen: Er sei dumm gewesen und verliebt. Als dritter, strafrechtlich relevanterer, Fehler könnte die Geschichte gewertet werden, die er gestern dem Gericht auftischte. Denn empfohlen hatte ihm die Vorsitzende Richterin, ein Geständnis abzulegen, falls das Amtsgerichtsurteil den Sachverhalt zutreffend beschreibt. Und ihm für diesen Fall eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt.
Ausschließlich Hilfe habe er Sonja S. angeboten, erklärt der Angeklagte, niemals Heroin. Als V-Mann der Polizei sei er vielmehr tätig gewesen im Drogenmilieu, habe mehrere Heroingeschäfte ans Tageslicht gebracht, mehr als 8000 Mark dadurch verdient, zusätzlich zur Sozialhilfe. Sonja S. habe er zufällig kennengelernt, öfter wiedergetroffen, sich in sie verliebt. Sie soll sich ihm mit einem anderen, türkischen Namen vorgestellt haben. Er wußte, daß sie drogenabhängig war und „arbeiten ging – mit Männern aufs Hotelzimmer“. Als er sie das erste Mal traf, will er ihren „Freund“ gefragt haben, ob sich das denn gezieme, ein Mädchen „arbeiten zu schicken“.
Er selbst habe das nie von ihr verlangt; er wollte, daß sie damit und mit den Drogen aufhört. Eine wertvolle Kette seiner Mutter habe er ihr geschenkt und ihr die Ehe angeboten. Wenn sie mit anderen Männern sprach, erklärt er, sei er sehr eifersüchtig geworden. Und böse, als er erfuhr, daß sie die Kette verkauft hatte. Weil er selbst – „auch wenn ich manchmal hungern mußte“ – niemals an einen Verkauf des Schmuckstücks gedacht habe. Und Sonja S. den Gegenwert in bar sowieso nicht hätte herbeischaffen können, erklärt er dem Gericht. Mit dem Messer, daß er bei seiner Verhaftung im September bei sich hatte, habe er die junge Frau jedoch nie bedroht. Das Messer sei ebensowenig sein Eigentum gewesen, wie die Jacke, die er damals trug. Die will er sich kurz zuvor von einem Freund geliehen haben.
Unklar blieb am ersten Verhandlungstag, ob die Skepsis im Blick der Richterin auf die Form ihrer Brille oder auf andere Gründe zurückzuführen war. Die erste Pflichtverteidigerin des Angeklagten war vor Beginn der Berufungsverhandlung von ihrem Mandat befreit worden. Dies ist nur möglich, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt; meist ist dann das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt massiv gestört.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen