Hilfe gegen Obdachlosigkeit: Begehrte Container
Seit zwei Jahren können wohnungslose Frauen in Hamburg auch im Sommer in Containern übernachten. Nun fürchtet das Projekt um seine Zukunft.
HAMBURG taz| Alle reden, nur Kira* schweigt, sitzt in der Ecke, ihre Schultern zum Brustkorb geneigt. Die 29-Jährige hat dunkle, glatte Haare, isst nichts, murmelt kurz, sie habe schon gegessen. Sie kennt ihre neuen Nachbarinnen noch nicht, weiß nicht, ob sie ihnen trauen kann, weiß nicht, ob sie willkommen ist.
Kira sitzt mit anderen obdachlosen Frauen in einem der fünf orange-blauen Container auf dem Gelände der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) im Hamburger Stadtteil Sankt Georg. Sie essen Käsebrötchen, lachen, unterhalten sich, reden über Erna, die endlich eine Wohnung gefunden hat. „Sie fehlt“, sagt eine der Frauen.
Auf dem Tisch vor ihr liegen Frischkäse, Brezeln, Butter; in einem Holzregal stehen Brettspiele und Bücher. Eine weitere Frau mit knallgelbem Kleid brät derweil ein Omelett. „Will jemand?“, fragt sie, es ist Ramadan, sie selbst fastet, die Sonne scheint noch. „Ich mach’ drei Kreuze, wenn ich nächste Woche Geld krieg’“, sagt die dritte Frau, das Omelett ignorierend.
Das Containerdorf gibt es seit 1993. Aber erst im zweiten Jahr können zehn obdachlose Frauen hier auch im Sommer Platz finden. Eigentlich waren die Container nur für den Winter gedacht, für das Notprogramm, das Anfang November beginnt. „Dann redet jeder über Obdachlosigkeit, so kurz vor Weihnachten“, sagt Andrea Hniopek, Sozialarbeiterin in der Ambulanten Hilfe (AHH), einer Beratungsstelle für Obdachlose, die die Plätze für die Container verteilt.
Hniopek leitet das Containerprojekt. Im Sommer werde das Thema dann idealisiert im Stil von: „Ach, wir machen doch alle Camping an der Ostsee, draußen pennen ist doch kein Ding“, sagt Hniopek. Dabei sei es für Frauen im Sommer ebenso gefährlich auf der Straße zu schlafen wie im Winter, da sie auch im Sommer der Gewalt der Männer ausgeliefert seien.
Knapp 80 Prozent der obdachlosen Frauen, die im Winter eine Unterkunft haben, hätten im Sommer keine mehr, sagt Hniopek. Laut der letzten Zählung vor drei Jahren gibt es 218 obdachlose Frauen in Hamburg, knapp 1.000 Obdachlose sind es nach diesen Zahlen insgesamt.
Doch Experten schätzen, dass es weit mehr sind. Denn es wurden nur Obdachlose in die Statistik aufgenommen, die das Hilfsprogramm Hamburgs wahrnehmen. „Es gibt ungefähr so viele Frauen wie Männer in der Obdachlosigkeit“, sagt Andrea Hniopek.
Nur würden Frauen ihre Obdachlosigkeit meist kaschieren und die Angebote der Stadt bewusst nicht wahrnehmen – sei es, weil sie Angst vor dem Gang zum Amt haben, sei es, weil sie alleine klarkommen möchten. An dieser Stelle möchte das Containerprojekt anknüpfen. Doch nun ist fraglich, ob es im nächsten Sommer bestehen bleiben kann.
Bis dato finanziert sich das Projekt aus Spendengeldern, um die 30.000 Euro braucht Hniopek jedes Jahr – doch das Geld reicht nur noch für diesen Sommer. Die Stadt versuche, das Projekt an Spender zu delegieren, bezuschusst werde es nur in den Wintermonaten. Eine Förderung im Sommer sei nicht nötig, da genug adäquate Schlafplätze vorhanden seien. „In Hamburg muss tatsächlich kein Obdachloser auf der Straße schlafen“, sagt Oliver Keßmann von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration.
Andrea Hniopek, die seit Jahren mit Obdachlosen arbeitet, hebt die Stimme, wenn sie das hört, brüllt fast: „Das ist Quatsch. Es gibt in Hamburg einen erheblichen Mangel an Unterkünften, und die, die es gibt, sind qualitativ schlecht.“
Auch sie müsse deswegen betteln, damit jemand das Projekt unterstützt. Dabei hat das Sommerprojekt des Containerdorfs großen Zulauf. Ein freier Platz ist meist in maximal zehn Minuten vergeben. „Die Vorgeschichte der Frauen ist uns egal“, sagt Hniopek. „Meist sind sie irgendwo anders rausgeflogen und haben viel Mist gebaut.“
Wie Kira, die mit 18 begann, Drogen zu nehmen. Erst Marihuana, dann Kokain, dann Heroin, um ihre Depression zu „therapieren“, wie sie sagt, als sie nach dem Abendbrot in ihrem Container sitzt und sich eine Zigarette ansteckt. Ihr Haar ist zu einem Zopf gebunden, sie trägt Top und Jeans. Noch immer hat sie nichts gegessen.
Zwei Stühle stehen in ihrem Raum, ein Schreibtisch, ein Schrank, ein Bett mit Sprungfedermatratze. Sie habe Drogen genommen, um lockerer zu werden, sagt sie. Finanziert hat sie ihre Sucht als Prostituierte in Hannover. Dort hatte Kira damals auch eine Wohnung, bezog Sozialhilfe. Doch sie habe deren Briefe direkt beiseite gelegt und sich erstmal einen Schuss gesetzt. Sie aß nichts und verlor ihre Wohnung. Als die Männer auf dem Strich sahen, dass sie auf Droge war, versuchten sie, die Preise zu drücken.
Gearbeitet habe sie noch nie, nur im Gefängnis als Lackiererin, in dem sie vor wenigen Monaten noch saß. Sie hatte jemandem eine volle Bierflasche auf den Kopf geschmettert und war mehrmals beim Schwarzfahren erwischt worden. In Haft entschied sie, keine Drogen mehr zu nehmen. „Ich hatte die Schnauze voll von diesem Drecksleben“, sagt sie. Aber wieder draußen, blieb sie nicht clean.
Vor wenigen Tagen schlief Kira noch im „Frauenzimmer“, außer dem Containerdorf die einzige Hamburger Unterkunft, in der obdachlose Frauen den ganzen Sommer lang unterkommen können. Dieser Platz ist für knapp 20 Frauen. Kira teilte sich mit fünf anderen Frauen ein Zimmer, schlief auf einem Feldbett, Kopf an Kopf, hatte immer ihre paar Habseligkeiten im Auge: Zahnpasta, Seife, Toilettenpapier.
Sie habe sofort zugesagt, als die AHH ihr mitteilte, dass ein Platz im Container für sie frei sei. „Es wirkt auf mich hier alles so friedlich, ich fühle mich nicht kontrolliert, sondern unabhängig“, sagt sie. Im „Frauenzimmer“ habe sie dauernd jemand beobachtet. Der Container helfe ihr dabei, ihr Leben neu zu ordnen, demnächst eine Arbeit zu finden, Sport zu machen.
Dennoch sei es eine Notlösung, sagt Kira. „Ich möchte nicht mehr auf solche Projekte angewiesen sein“, sagt sie, während draußen ihre Nachbarin die Außenfläche eines Containers fegt. „So schön es hier auch sein mag.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
USA nach Trump-Wiederwahl
Das Diversity-Drama