Mit dem Nikotin-Ei auf Du und Du: „Hilfe fürs Huhn“
■ Hühnerbaron gesteht Gift im Futter
Im Prozeß gegen den Hühnerbaron Anton Pohlmann (56) hat das Landgericht Oldenburg gestern nachmittag den Haftbefehl gegen seinen mitangeklagten Sohn Stefan aufgehoben. Es bestehe aus Sicht des Gerichts keine Fluchtgefahr mehr, sagte der Vorsitzende der zweiten großen Strafkammer, Hugo Sponer, am zweiten Verhandlungstag zur Begründung. Der 25jährige Pohlmann junior hatte im Februar zwei Wochen in Untersuchungshaft verbringen müssen, aus der er gegen Zahlung einer Kaution von zwei Millionen Mark entlassen wurde.
Stefan Pohlmann habe nach dem Ergebnis der zweitägigen Beweisaufnahme auch nicht mehr mit einer Freiheitsstrafe wegen unterlassener Hilfeleistung zu rechnen, teilte der Kammervorsitzende mit. Daher könne das Gericht auch einer Einstellung des Verfahrens gegen Pohlmann-Junior bei Zahlung einer Geldbuße von etwa 100.000 Mark zustimmen. Ein entsprechender Antrag scheiterte jedoch am Einspruch der Staatsanwaltschaft.
Angeklagt ist Stefan Pohlmann wie sein Vater wegen unterlassener Hilfeleistung. Wie beide selbst vor Gericht einräumten, hatten sie den Farmarbeiter Fikret Özdemir mit einer lebensbedrohlichen Nikotinvergiftung erst nach stundenlanger Wartezeit ins Krankenhaus gebracht und den Ärzten zunächst die Vergiftungsursache verschwiegen. Sie hätten vertuschen wollen, daß das illegale Schädlingsbekämpfungsmittel Nikotin-Sulfat versprüht worden war. Den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gegen den 25jährigen hatte die Staatsanwaltschaft nach widersprüchlichen Aussagen des als Nebenkläger am Prozeß beteiligten Özdemir fallengelassen.
Im Mittelpunkt des zweiten Prozeßtages standen die Aussagen zweier Tierärzte, die in einem Pohlmann-Stall leichte Nikotin-Vergiftungen erlitten, sowie ein Gutachten zum Todesrisiko des vergifteten Farmarbeiters. Der Münsteraner Toxikologe Professor W. Schmitz kommt darin zu dem Ergebnis, daß für den mit Nikotin vergifteten Özdemir akute Lebensgefahr bestand. Die späte Einlieferung ins Krankenhaus und verzögerte Behandlung hätten das Todesrisiko noch erhöht.
Die Veterinäre berichteten gestern von gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach einem Besuch in einem zuvor desinfizierten Pohlmann-Stall. Als Ursache hätten sie zunächst Form-aldehyd vermutet. Die Anklage sieht dagegen Nikotin als Ursache für Übelkeit und Kopfschmerzen. Anton Pohlmann erklärte, er wisse nicht, was in der Farm versprüht wurde.
Zu der als Tierquälerei angeklagten Verfütterung des Desinfektionsmittels Virkon S an Millionen von Hühnern erklärte Pohlmann, damit sei den Tieren ein vergleichsweise größeres Leiden unter einer Salmonelleninfektion erspart worden. Eine Impfung der Tiere als Alternative sei zwar erfolgreich erprobt, aber von den Behörden nicht zugelassen worden. Erstmals räumte der Angeklagte vor Gericht auch wirtschaftliche Vorteile durch den Einsatz der verbotenen Mittel ein. dpa/taz
Fortsetzung am Dienstag
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