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■ Cash & CrashHigh-noon in Polen

Warschau (taz) – Es war ein schwerer Rückfall in vorkapitalistische Zeiten, was sich da vor zwei Wochen vor den Ausgabeschaltern der polnischen Banken abspielte: Schlangen, wie man sie seit den Zeiten des Kriegsrechts, als selbst Seife noch rationiert war, nicht mehr gesehen hatte. In mehreren Städten entschieden von Großinvestoren angeheuerte Schlägertrupps den Kampf ums Aktienpaket. Von „regelrechten Westernszenen“ wußte die Wochenzeitung Wprost zu berichten.

Doch beim Warschauer High- noon werden keine alte Rechnungen beglichen, sondern neue aufgemacht. Eine davon lautet, daß man mit den vor zwei Wochen erworbenen Aktien der Fleischfabrik Sokolow oder der Krakauer Kleiderfabrik Vistula bei der Börseneinführung bis zu 500 Prozent Wertzuwachs wird einstreichen können. Kein Wunder, daß der erste Platz in einer von Karateschülern und Sportstudenten geordneten Schlange zwischen 20 und 100 Millionen Zloty (2.000 bis 10.000 Mark) kostete, glaubt man den Erhebungen von Wprost. Auch der Chef der Warschauer Börse fand: „So geht's nicht.“

Er hätte es besser wissen müssen. Wertpapierkommission und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen Makler, nachdem Aktien der „Wielkopolski“-Bank offenbar vor Öffnung der Schalter unter der Hand verschoben worden waren. Auch damals gab es Westernszenen und lange Warteschlangen. Ein Maklerbüro hat inzwischen seine Lizenz wegen der Affäre verloren.

Woher kommt dieser Run auf die Aktie? Während Regierungskrisen anderswo Kursstürze auslösen, lebt die Warschauer Börse dabei förmlich auf. Ende April, als die Koalition von Frau Suchocka zur Minderheitsregierung wurde, durchbrach der Warschauer Börsenindex WIG erstmals in seiner Geschichte die 2.000-Punkte- Marke. Auf jeden Versuch, die Regierung zu stürzen, reagierte die Börse mit neuen Ausbrüchen der Begeisterung: Am Tag, als die Regierung tatsächlich stürzte, erreichten 14 der insgesamt 17 an der Börse notierten Firmen ihre besten Ergebnisse seit zwei Jahren.

Für dieses Verhalten gibt es vernünftige Erklärungen, die nichts mit Aversionen der Anleger gegen die Regierung Suchocka zu tun haben. Eine davon ist die Senkung der Leitzinsen durch die Nationalbank, die offensichtlich dazu geführt hat, daß Besserverdienende ihre Ersparnisse nicht in Aktien anlegen. Auch die Banken selbst sind diesem Trend gefolgt, und schließlich hat die Hausse einen Perpetuum-mobile-Effekt ausgelöst: Die Renditen für geschickte Spekulanten übersteigen inzwischen alle sonstigen – selbst manche illegalen – Verdienstmöglichkeiten. Wer im Januar etwa eine Aktie der Brauerei „Okocim“ gekauft hat, kann sich heute ins Fäustchen lachen: 189 Prozent Wertzuwachs, steuerfrei – in Polen muß nur die Dividende versteuert werden, mit 20 Prozent und außerhalb der Progression.

Börsianer glauben, der Boom sei auf Sand gebaut. Wenn die Spekulationsphase vorbei sei, so schrieb die Wirtschaftszeitung Zycie Gospodarcze, sei mit massiven Verkäufen zu rechnen, denn Gewinnraten unter 10 Prozent seien für ausländische Investoren nicht mehr interessant. Die inländischen Spekulanten werden sich zurückziehen, wenn die Kurse nicht weiter steigen – und das wird der Fall sein, wenn der Nachfrageüberhang abgebaut wird. Noch in diesem Monat wird die Börseneinführung der „Wielkopolski“-Bank erwartet, die sehr hoch bewertet wird. Und schließlich dürfte ein ganz banaler Umstand die Hausse beenden: Die Ferienzeit beginnt und die Leute brauchen Geld für ihren Urlaub. Klaus Bachmann

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