: „Hier hilft der Staat“
■ Trotz Pflegeversicherung, Stufe zwei, werden viele alte Menschen in den Pflegeheimen weiterhin Sozialhilfe brauchen
Frau K. gehört im Pflegeheim „Sparer Dank“ zu den „Rüstigen“. Als „rüstig“ bezeichnet die Heimleitung dort diejenigen Menschen, die sich noch selbst waschen und ankleiden, jedoch nicht mehr alleine ihren Alltag bewältigen können. Frau K. hat eine schwere Multiple Sklerose. Sie benötigt eine Gehhilfe und an schlechten Tagen einen Rollstuhl. Im Pflegeheim „Sparer Dank“ wohnt Frau K. seit fünf Jahren auf 44 Quadratmetern, zusammen mit ihrem Pudel Fritzi. Dank Fritzi geht Frau K. trotz ihrer Schmerzen sechs mal täglich aus dem Haus. Vor ein paar Wochen wurde vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) Frau K.s Pflegebedürftigkeit begutachtet. Denn ab 1. Juli wird die zweite Stufe der Pflegeversicherung, die stationäre Pflege, umgesetzt. „Ich komme da nicht rein, ich bin zu beweglich“, sagt Frau K. „Hier“ – sie deutet auf sich – „hier hilft der Staat.“
Frau K.s Aufenthalt im Pflegeheim wird auch weiterhin durch die Sozialhilfe gesichert werden. Denn den Pflegesatz kann sie mit ihrer kleinen Rente nicht bezahlen. Neben Frau K. beanspruchen im Land Bremen 80 Prozent aller pflegebedürftigen Menschen die staatliche Unterstützung. Rund 200 Millionen Mark im Jahr gab das Land Bremen als Sozialhilfeträger bislang zur Deckung der Pflege-Restbeträge aus.
Das soll sich mit der zweiten Stufe der Pflegeversicherung nun ändern: Bremen erhofft sich Einsparungen bis zu 90 Millionen Mark im Jahr. „Aber schon jetzt ist klar, daß wir das wahrscheinlich nicht erreichen werden“, orakelt Gerd Wenzel von der Landessozialbehörde. Das Gesetz lasse zu viele Finanzlücken offen (vgl. nebenstehenden Kasten).
Trotzdem setzt Bremen auf das Ziel, „die Pflegebedürftigkeit und die Sozialhilfebedürftigkeit zu entkoppeln.“ So formulierte es gestern Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD). Sie setzte sich in einen der Aufenthaltsräume im Pflegeheim „Sparer Dank“ und stellte dort allerdings nur der Presse das neue Bremer Pflegeinvestitionsgesetz vor, das von der Bürgerschaft bereits verabschiedet worden ist: Bremer Einrichtungen mit Dauerpflegeplätzen – das sind insgesamt 63 – bekommen ab 1. Juli Zuschüsse zu den Folgekosten eines Neubaus, einer Modernisierung oder Renovierung.
27 Millionen pro Jahr werden dafür zur Verfügung gestellt, bezuschußt wird nur nach tatsächlich belegten Betten, pro (Pflege-)Person wird es maximal 45 Mark am Tag geben. „Die Heimkosten für Einzelpersonen werden gesenkt und dennoch bleibt der Pflegemarkt offen“, so Wischer. „Das ist keine staatliche Lenkung. Wir schaffen einen Anreiz zum positiven Wettbewerb, also zur Qualitätsverbesserung in den Heimen.“
So positiv, wie diese Rechnung sich anhört, wird sie jedoch nicht aufgehen, schätzt Burkhard Schiller von der Arbeiterwohlfahrt. Die AWO ist Mieterin und Betreiberin von „Haus Sparer Dank“, das 1988 von der Bremer Sparkasse gebaut wurde. 57 Menschen leben hier in Pflege; nehmen wir also als Rechenbeispiel die Finanzsituation von Frau W.: Frau W. hat beide Oberschenkel geschient und sitzt im Rollstuhl. „Vorher bin ich in der Wohnung immer hingefallen“, erzählt Frau W. „Ich habe auch einen Herzschrittmacher.“ Wird Frau W. der Pflegestufe II zugeordnet, bekommt sie 2.500 Mark von der Pflegekasse. Das Heim rechnet mit 3.000 Mark Pflegekosten – Frau W. muß 500 Mark selbst übernehmen. Ebenso die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, etwa 1.000 Mark im Monat. Jetzt ist Frau W. schon bei 1.500 Mark Eigenbeteiligung. Von den vom Heim veranschlagten zusätzlichen 1.000 Mark Investitionskosten würde Bremen 400 Mark übernehmen. Frau W. verblieben 2.100 Mark Heimkosten im Monat. Die Frau im Rollstuhl winkt nur müde ab.
„Mehr Wettbewerb bedeutet, wir müssen beim Personal sparen“, so Heimleiter Schilling. In jedem Fall werde also die soziale Betreuung in den Pflegeheimen zurückgehen. Frau K. etwa wurde vom Medizinischen Dienst streng nach medizinischen Kriterien untersucht. Sie sei noch beweglich, hieß es im Gutachten. Daß es Tage geben kann, an welchen sie nicht aus dem Bett kommt und verwirrt ist, wurde dabei nicht berücksichtigt. Herr F., ebenfalls bislang unter den „Rüstigen“, läuft ständig aus dem Haus und muß beaufsichtigt werden. Das alles fließt nicht in die Gutachten ein. Die betroffenen Personen werden nicht als Pflegefälle anerkannt. Zwar stehen sie nun nicht etwa auf der Straße. Die Menschen können im Pflegeheim bleiben, bekommen aber keine Leistungen aus der Pflegeversicherung. Es bezahlt wiederum die Sozialhilfe. sip
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