: Hier Spritzen, dort Kriminalisierung
■ Eine einheitliche Politik im Umgang mit Drogenkonsumenten gibt es in Westeuropa nicht / Während die biedere Schweiz Liberalisierungstendenzen zeigt, trat in Italien ein verschärftes Gesetz in Kraft
Einig sind sich alle, daß die Drogen eine große Gefahr für die Gesellschaft allgemein und die Jugend im besonderen darstellen und deshalb ihre Verbreitung möglichst eingedämmt werden müssen. Bei den Mitteln zu diesem Zweck scheiden sich jedoch die Geister der Regierenden. Sozialarbeitern und Antiprohibitionisten zum Trotz wird in einigen Ländern die Kriminalisierung der Benutzer verstärkt, während woanders Bürgerinitiativen und Müttervereinigungen vergeblich gegen eine Liberalisierung anrennen. Doch trotz gelegentlicher Pilotversuche im freizügigeren Umgang mit den Drogen scheint sich die harte Linie langsam durchzusetzen, obwohl die Kriminalisierung neue Probleme schafft, für die Lösungen gefunden werden müssen.
Das Musterland Schweiz ist seit einiger Zeit ein Beispiel dafür, wie trotz einer repressiven Gesetzgebung Drogenbenutzer entkriminalisiert werden können. Die Drogenszene konzentriert sich dort auf Zürich und Bern. Öffentlich sichtbar wird sie in Bern auf der Bundeshausterasse, gleich neben dem Regierungs- und Parlamentskomplex; in Zürich auf dem sogenannten „Platzspitz“, einem dreieckigen Parkgelände gleich neben dem Hauptbahnhof, dessen Schenkel die hier ineinandermündenden Flüsse Limmat und Sihl bilden.
Nach Jahren reiner Repressionspolitik wird in Zürich nun der Drogenkonsum durch die abhängigen Fixer geduldet, obwohl er nach dem Bundesgesetz eindeutig verboten ist. So werden inzwischen zwecks Aidsbekämpfung auf dem Platzspitz täglich zwischen 4.000 und 7.000 neue, sterile Spritzen ausgegeben. Noch vor vier, fünf Jahren galt die Abgabe von Spritzbesteck an Fixer als Beihilfe zu einer kriminellen Handlung (nämlich Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz).
Fixerstübli
im Kanton Bern
Andererseits wird gegen die Händlerszene und die Umfeldkriminalität vorgegangen. So ist die Polizei mit uniformierten Patrouillen seit einigen Tagen auf dem Platzspitz ständig präsent. Die Fixer dürfen zwar weiterhin zu Hunderten in Schlafsäcken im Platzspitz-Park übernachten, aber keine Hütten oder Zelte mehr aufstellen. Dadurch soll der Aufbau einer „Infrastruktur“ unterbunden werden, um eine Sogwirkung nach Amsterdamer Vorbild zu vermeiden.
Der Kanton Bern/Bundeshauptstadt gilt als noch liberaler als Zürich. Hier gibt es eine Schweizer Spezialität, nämlich zwei sogenannte „Fixerstübli“. Das sind Räume, in denen sich die Fixer ohne Streß und unter hygienischen Bedingungen (Wasser, Waschbecken, saubere Spritzen) ihren Schuß setzen können. Hier sind (wie auch auf dem Zürcher Platzspitz) Sozialarbeiter, im hiesigen Slang: Gassenarbeiter, tätig.
Mit der neuen Praxis geht auch eine Diskussion über eine neue Gesetzgebung einher. Der Vorschlag der Regierung geht bis zur Legalisierung. Sogar die Abgabe von Heroin ist in der Diskussion kein Tabu mehr.
In Spanien hingegen läuft die Diskussion genau in die umgekehrte Richtung: 1983 war unter der sozialistischen Regierung der Drogenbesitz erlaubt worden, nur der Handel ist strafbar. Die steigende Zahl der Herointoten in den letzten Jahren einerseits und der Druck der US-Amerikaner andererseits hat inzwischen Überlegungen ausgelöst, die Liberalität zu begrenzen. Bürgerproteste gegen Drogenhändler, häufig jedoch auch gegen die Einrichtung einer Therapiestation für Drogenabhängige im Stadtviertel haben den Rechten Auftrieb gegeben, die die liberale Gesetzgebung schon immer für eine falsch angewandte Freiheit hielten. Die Überlegungen zielen auf ein Verbot des Konsums von Drogen in der Öffentlichkeit. Die Regierung hinkt damit den Fakten hinterher, die einzelne Gemeinden bereits auf eigene Faust geschaffen haben: So ahndet die Gemeinde Toledo seit eineinhalb Jahren den Drogenkonsum in der Öffentlichkeit mit Geldstrafen (davon sind allerdings Drogen wie Tabak und Alkohol ausgenommen). Und in der Kleinstadt San Sebastian de los Reyes in der Nähe von Madrid nehmen seit Mai Polizeistreifen mit Hunden allen Drogenkonsumenten ihren Stoff ab. Die kuriose Begründung: Der Stoff sei in offiziellen Läden nicht zu kaufen, insofern handele es sich um Schwarzmarktware, die beschlagnahmt werden müsse.
Noch ist die Verschärfung in Arbeit, aber sie wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. In einem Land, in dem nach Meinungsumfragen in jeder zehnten Familie ein Drogenabhängiger lebt, werden Strohhalme zur vermeintlichen Rettung bereitwillig ergriffen. Daß die Entwöhnung von Drogenabhängigen am Mangel an Therapieplätzen scheitert und andererseits die zu erwartenden Maßnahmen nur die Jugendlichen aus den öffentlichen Plätzen vertreibt, ohne etwas an dem Problem zu lösen, wird nur von einigen wenigen Mitgliedern der Antiprohibitionismusgruppe sowie von der Linkskoalition Izquierda Unida bemängelt.
Knast
in Italien
Wo Spanien erst noch hin will, da ist Italien bereits angelangt. Seit Mitte dieses Jahres gibt es dort ein neues Drogengesetz, das sich über Rat und Widerstand nahezu aller Experten und Sozialarbeiter auf dem Gebiet hinwegsetzt, jedoch der wachsenden Wut der Bevölkerung gegen die Hilflosigkeit der Regierung Rechnung trägt. Das Gesetz kriminalisiert ausnahmslos alle Drogenkonsumenten, auch die voll Abhängigen, verschärft die Strafen für den mittleren Dealer, bietet aber eine Strafminderung für Großhändler, die nun nicht mehr lebenslange Haftstrafen, sondern maximal 28 Jahre bekommen können. Abgeschafft wurde das Recht, mehrere Tagesrationen „seiner“ Droge mit sich führen zu dürfen, nun ist nur noch eine Tagesration statthaft, für deren Besitz man noch nicht gleich behördlicherseits belästigt wird. Wer im Besitz von zu viel Stoff angetroffen wird, bekommt zunächst die verwaltungsmäßige Strafebene zu spüren: Einzug des Führerscheins, des Jagdscheins und des Reisepasses für mehrere Monate oder gar Jahre. Bei erneutem Verstoß erfolgt das Verbot, die Stadt zu verlassen, und Meldepflicht bei der Polizei, und wer's immer noch nicht läßt, kommt in den Knast. Nur die Bescheinigung einer erfolgreichen Entziehungskur läßt auf dieser Ebene den Knast vermeiden. Angesichts des chronischen Mangels an Therapieplätzen scheint es jedoch leichter, sich eine gefälschte Bescheinigung bei der Camorra in Neapel zu kaufen, als auf einen Platz zu warten.
Thomas Scheuer (Basel), Werner Raith (Rom
und Antje Bauer (Madrid
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