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Archiv-Artikel

Hey Boss, ich brauch mehr Geld

MUSICAL Gunter Gabriel, proletarischer Sänger und Songwriter, erzählt in „Ich, Gunter Gabriel“ am Kurfürstendamm von seiner krassen Jugend im autoritären Elternhaus. Die Skins in der letzten Reihe lieben es

Die Skins lassen es krachen. Klatschen, Zwischenrufe: „Du geile Drecksau!“ Das bringt Leben in die Bude

VON HEINRICH DUBEL

„Elvis wollte nicht Händchen halten, Elvis wollte ficken.“ Das musste mal gesagt werden. Hörbar schnappen einige der anwesenden Damen nach Luft. Gunter Gabriel, „Liederboss“, „Malochermucker“ und „Deutschlands einziger proletarischer Sänger“, steht auf der Bühne und rotzt seine Lebensgeschichte raus. Elvis hat insofern damit zu tun, als dass es der Rock ’n’ Roll war, der Gunter Gabriel gerettet hat.

Gabriels Kindheit war hart. Als Junge lag er wochenlang mit der Aussicht auf einen frühen Tod im Krankenhaus – Wundstarrkrampf. Seine Mutter starb nach einer Abtreibung, Gabriel sah zu, wie sie im Leichenwagen davongefahren wurde. Er blieb zurück mit einem gewalttätigen Vater, der ihn mit der Hundepeitsche traktierte. Irgendwann musste er den Vater vom Strick schneiden, als der einmal versuchte, sich aufzuhängen. Schließlich schlug Gabriel den Vater in der Kneipe zusammen, weil dieser zur Gaudi seiner Saufkumpane aus dem Tagebuch des Sohnes vorlas. Als „der Alte“ stirbt, kauft Gunter Gabriel sich „eine Pulle Schampus“.

Der brutale Vater

Gunter Gabriel geht in seinem autobiografischen Musical „Ich, Gunter Gabriel“ im Theater am Kurfürstendamm ins Detail. Er geht dahin, wo es wehtut. Seine Erlebnisse hat er früher schon in seinen Songs verarbeitet. Den brutalen Vater etwa schrieb er sich in „Man nannte ihn Puma“ und in der Adaption des Johnny-Cash-Stückes „A Boy named Sue“ von der Seele. Alle diese Titel spielt Gabriel auch in seinem Musical und eine Menge anderer noch dazu. Nach etwa drei Stunden Programm werden es fast 40 Titel gewesen sein.

Der Mann hat ein Ego, das die ganze Bühne füllt. Er dröhnt, kaspert herum, ist rührselig, dann wieder grob, verfällt ins Englische, wenn er von seiner Freundschaft mit Johnny Cash erzählt, die begann, als Cash mitbekam, dass Gabriel ihm das Stück „Wanted Man“ geklaut und einen Hit mit deutschem Text daraus gemacht hatte.

Gabriel zeigt mehr als einmal und manchmal an der Grenze zur Peinlichkeit seinen „Stinkefinger“. Er will gefallen, ist kokett, was bei einem so gewaltigen Mann auch einen komischen Effekt hat. Oft lässt er das Publikum wissen, wie sehr es das beste Publikum ist, wie sehr er alles, was er tut, für seine Fans tut. Tatsächlich wird jeder Song mit heftigem Applaus bedacht. Das Publikum am Premierenabend ist heterogen: Berliner Gesellschaft in großer Abendrobe, B- und C-Prominenz aus Politik und Showgeschäft, normale Gunter-Gabriel-Fans, darunter auch jüngere Leute (einer ist aus Cuxhaven angereist) sowie – eher überraschend – ein Dutzend Berliner Skinheads von der traditionellen Sorte, die in den hinteren Reihen Platz genommen haben und es so richtig krachen lassen: rhythmisches Klatschen, Zwischenrufe („Du geile Drecksau!“). Doch das stört gar nicht, es bringt Leben in die Bude.

Denn bei aller Professionalität, bei allem Unterhaltungswert, den die Person Gunter Gabriel auf die Bühne bringt, das Stück selbst ist – mit Verlaub – unterkomplex. Es beginnt am Ende. Gabriel ist tot, ein Engel begrüßt ihn im Jenseits, wo ein aus Plattitüden bestehender Dialog beginnt, sicher absichtsvoll, ironisch gemeint vielleicht sogar. Das macht es jedoch nicht besser. Aufgabe des Engels ist es zu entscheiden, ob Gabriel in den Himmel oder in die Hölle kommt. Zu diesem Zweck wird Gabriel „befragt“, der nun sein Leben erzählt und singt. Die Rolle des Engels ist eine etwas undankbare Aufgabe, die der Berliner Sängerin und Schauspielerin Barbara Felsenstein zufällt. Mit kräftiger, schöner Stimme fungiert sie als Gabriels Gesangspartnerin, wenn ein Duett ansteht („Ring of Fire“) oder es um einen der tausend Schlager geht, die Gabriel geschrieben hat und der von einer Frau gesungen wurde, etwa „Wenn du denkst du denkst“ von Juliane Werding.

Leider singt der Engel gar nicht so oft. Denn sonst hat er nicht viel zu tun. Als Hauptdialogpartner stellt er nur immer dieselbe Frage: „Wer bist du wirklich?“ Und egal, wie viel Gabriel von sich erzählt, wie sehr er ins Detail geht, der Engel stellt immer weiter seine Frage und notiert sich die Antworten mit einem Federkiel. Wenn er nicht singt noch sich Notizen macht, dann geht er ziellos auf der Bühne umher oder steht im Schatten am Bühnenrand. Zwischendurch spielen die beiden Familienaufstellung, deren Ergebnis als wirres Graffiti in die Kulisse gesprüht wird. Es bleiben Zweifel an dieser Inszenierung, man hatte mehr erwartet.

Immerhin beziehungsweise erwartungsgemäß gibt es ein Happy End, denn selbstverständlich kommt Gunter Gabriel am Schluss weder in die Hölle noch in den Himmel, sondern bleibt seinen Fans erhalten: „Ich bleibe noch da.“ Die danken es ihm mit Standing Ovations.