: Hexenjagd
■ Ausbruch der Gefühle - Woher kommt Monika Weimar?, ARD, 20.15 Uhr
Philippsthal ist ein kleines idyllisches Dorf, in dem es festgefügte Wert- und Moralvorstellungen gibt: Eine Frau heiratet mit Anfang zwanzig. Sie bekommt ein oder zwei Kinder. Sie gibt voreheliche Vergnügen wie Diskobesuche auf. Sie ist jetzt Ehefrau.
An diese Tabus rührt Monika Weimar, weil sie als Nachtschwester arbeiten geht. Die Frauen hier arbeiten nicht. Und Monika Weimar bricht weiter aus: Sie fährt nach Bad Hersfeld in die Diskothek und findet einen Liebhaber. Sie meldet ihre Kinder am 4.August 1986 als vermißt. Nach einer großangelegten Suchaktion werden diese am 7.August ermordet aufgefunden. Es stellt sich schnell heraus, daß der Täter in der Familie oder deren engstem Umfeld zu suchen ist. Monika Weimar, erst Hauptbelastungszeugin gegen ihren Mann, wird am 27.Oktober verhaftet - und das Ermittlungsverfahren gegen Reinhard Weimar eingestellt.
Nun beginnt ein verhängnisvolles Wechselspiel mit den Medien. Die Presse trifft auf das Mitteilungsbedürfnis der Dorfbewohner, die, naiv und unerfahren im Umgang mit Medien, auf alle Fragen eingehen, später auch Interviews und Fotos teuer verkaufen. Die Presse freut sich über die „leichte“ Arbeit, bringt alles, unter jedem nur denkbaren Aspekt. Die trauernden Eltern äußern sich exklusiv und beschuldigen den jeweils anderen vor einem Millionenpublikum.
Monika Weimar erleichtert es allen, Mitgefühl für ihren Mann zu haben. Sie fühlt sich an der Tragödie mitschuldig, wie sie in einem Fernseh-Interview am 4.September sagt, eben weil sie die Tabus gebrochen hat und deshalb denkt, ihren Mann zu der Tat getrieben zu haben. Tagtäglich wird das Publikum mit allen Einzelheiten dieser kaputten Ehe „gefüttert“, die nicht mehr besteht, aber auch nicht gelöst werden kann, weil Reinhard Weimar in eine Scheidung nicht einwilligt.
Der evangelische Pastor des Dorfes versucht Trauerarbeit zu leisten, indem er an die eigentlichen Opfer der Tragödie, die Kinder, erinnert, die von Anfang an lediglich eine Statistenrolle zugewiesen bekommen hatten.
Hilfe und Anregung zur Trauerarbeit(!) möchte auch Ruth -Esther Geiger mit ihrer Dokumentation leisten. Es geht dabei nicht um die Frage, wer nun tatsächlich schuldig ist Monika oder Reinhard. Aber wie schuldig ist eine Frau für alle schon dadurch geworden, daß sie an den Tabus Mutterschaft und Ehe rührt und dann auch noch versucht auszubrechen?
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