: „Heute wir, morgen ihr“
Bremen (taz) - „Ursula, wann waren wir das erste Mal zusammen demonstrieren?“ Ursula Kaufmann, 71 Jahre alt, überlegt kurz. „Das war vor vier Jahren“. Sechs beneidenswert agile Graue Pantherinnen suchen auf der Bremer Frauenwoche das Gespräch mit der jüngeren Frauengeneration. „Mit 40 arbeitslos, mit 60 Sozialhilfe“ heißt das Thema. Doch nur sieben jüngere Teilnemerinnen sind gekommen. Annerose Stein, die aus Oldenburg angereiste Referentin, begründet, warum „Graue Panther“ auf die Frauenwoche gehörten. Sie seien eine „Selbsthilfegruppe vor allem von Frauen“. Siebzig Prozent der Mitglieder seien weiblich. An ihrer eigenen Biographie verdeutlicht sie, wie Frauen der Rentenanspruch verloren geht: Als mithelfende Ehefrau eine Arztpraxis aufbauen, fünf Kinder großziehen, nicht lernen, auf eigene Bedürfnisse zu achten, nach dem Tod des Mannes plötzlich arbeitslos sein und schließlich teilzeitarbeiten in einem Altenwohnheim. In diesem Heim habe sie die Armut und das Vergessensein von alten Frauen kennengelernt. Es sei alarmierend, wie früh in der Kinder– und Jugendzeit dieses Schicksal angelegt sei. „Keine heute junge Frau sollte über eine alte Frau hinwegsehen“. Betretenes Schweigen „Wie stellen Sie sich denn Ihr Rentenalter vor?“ fragt unvermittelt eine alte die jüngeren Frauen. Betretenes Schweigen. Maria Indorf, 70jährige Graue Pantherin aus Oldenburg, sagt es uns Jüngeren ins Gesicht: „Sie kommen auch nicht zu der nötigen Lebensleistung“. Eine selbständige Versicherungskauffrau um die 30 kennt die Praxis. Frauen hätten einen sehr großen Abstand zu Gelddingen, zu Renten und Absicherungen. Den Spruch „kommen Sie wieder, wenn mein Mann da ist“, habe sie früher auch oft gehört, bestätigt Ursula Kaufmann. Sie habe ebenfalls im Versicherungsgewerbe gelernt. Die Referentin erzählt, sie habe sich nach dem Tod ihres Mannes „aufgemacht“, in Frauengruppen zum ersten Mal „Gemeinschaftsgefühl mit anderen Frauen“ entwickelt. Die 70jährigen Aktivistinnen berichten, sie seien schon immer recht streibar gewesen, aber politisch engagiert hätten sie sich früher nie. Zwei von ihnen schwören auf Weiterbildung. Maria Indorf: „Ich kann von billigstem Quark und Knäckebrot leben, aber ich brauch meine Volkshochschulkurse“. Eine zweite Pantherin hat bis zum 67. Lebensjahr gearbeitet, um trotz niedrigstem Stundenlohn einen Rentenanspruch zu erwerben. Danach habe sie in Volkshochschulkursen „sprechen gelernt“. Sie müsse sich immer wieder selbst bestätigen. „Andere können das ja auch“. Schließlich habe sie sich auch getraut, auf eine Demonstration zu gehen. So mutig können alte Frauen sein. Barbara Debus
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