■ Urdrus wahre Kolumne: Heute gegen Gockel- Tugend
Den geneigten FreundInnen meiner wöchentlichen Attacke auf die beschränkte Wirklichkeit sei mit der Bitte um Verständnis kurz und bündig mitgeteilt, warum an dieser Stelle heute so ausgiebig Gift und Galle für einen einzigen Zeitgenossen spritzt: Stellt euch dazu bitte Sodbrennen und Brechreiz ganz und gar körperlich vor, die mich nach dem Beitrag „Warme Worte für die Wehrmacht“in der Bremer Lokal-taz vom Mittwoch über eine Veranstaltung der Adenauer-Stiftung gepeinigt haben. Dem Chronisten Christoph Dowe küsse ich ergriffen die Hand, weil es ihm in professioneller Haltung gelang, unter den Teilnehmern dieser verderbten Runde auszuharren und auch noch seiner beruflichen Pflicht der Berichterstattung nachzukommen: Dies nenne ich Tapferkeit vorm Feind, HippHipp- Hurra!
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HERR! Herr Gerd Schultze- Rhonhof! Normalerweise habe ich Ehrfurcht vor schlohweißen Haaren. Helfe Rentnern mit gelassener Selbstverständlichkeit bei Problemen mit dem künstlichen Darmausgang oder beim Einstieg in die Straßenbahn. Gern bring' ich für Ruheständler in der Nachbarschaft den Flachmann und die BILD- Zeitung mit vom Kiosk, löse das Rezept mit dem Rheumamittel für sie in der Apotheke ein und bestätige ihnen im vertraulichen Gespräch, daß die da oben es nicht gut mit uns meinen und die Fernsehabende mit Peter Frankenfeld und Lou van Burg viel schöner waren als die mit Ulla Kock am Brink.
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Tja, Schultze-Rhonhoff! Früher haben Sie als Soldat strammgestanden und im Schlamm gewühlt. Haben geschossen, vermutlich mangels offiziellem Grund und Gelegenheit in Ihrer Nachkriegs- Dienstzeit niemanden erschossen. Haben sich anschreien lassen und selber gebrüllt. Sie haben gehorcht und befohlen. Zackig die Beine geschwenkt und schwenken lassen und vielleicht sogar olivfarbene Unterhosen mit Bremsspur zusammengefaltet. Kurz: Sie haben nix aus Ihrem Leben gemacht, was uns dem Sieg des Hedonismus, der herrschaftsfreien Gesellschaft oder zumindest der Internationalen Kinderschokolade näher gebracht hätte.
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Trotzdem halten Sie sich offenbar für eine Art Weltendeuter und genieren sich nicht, die spärlichen Früchte Ihrer Erkenntnis in öffentlicher Rede im Saal der Bremer Stadtwaage vor einschlägigen Fans zu entsaften, die solcher geistigen oder geistlichen Führung bedürfen. Sollen bei dieser Gelegenheit warme Worte für die Gockeltugend vaterländischer Tapferkeit gefunden und einen Bedarf an Visionären bekundet haben.
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Als frei praktizierender barfüßiger Prophet von Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit und kleines Mitglied im Bundesverband der Visionäre möchte ich das natürlich genauer wissen: Darf es am Ende Mathilde sein, die durchgeknallte Ludendorff- Hippe? Der Kamerad Reichsverweser Manfred Roeder oder gar der hundertundmehrjährige Stahlgewitterer Ernst Jünger? Alfred Rosenberg? Pinochet oder Jerry Cotton? Greifen Sie nur zu, die Resterampe im Sperrmüll- Lager des groben Unfugs ist geöffnet. Am Ende aber beschränkt sich die Lust an Visionen sowieso auf den Horizont eines Panzer-Zielrohrs oder auf den Glauben an eine Gesellschaft, in der Manno- Männer klaglos wie die Schäferhunde durch Blut und Scheiße robben, weil irgendein Schreihals ihnen das gebietet.
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Und haben Sie ruhig weiter den Mut zum Bekenntnis, rechts von der Mitte zu stehen: Ihre Rente muß ich sowieso bezahlen. Sehr, sehr ungern. Versichert Ihnen aus reinem Herzen und in Freundschaft zum Friedensfighter Ernst Busche
Ulrich „Drückeberger“Reineking
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