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■ Heute beginnt der Iberoamerikanische Gipfel. Die europäisch-lateinamerikanische Kuba-Diplomatie ist in einer SackgassePatt in Havanna

Die Hoffnung, Kuba mit einer Art Helsinki-Schlussakte zu reformieren, trog bislang

Das Datum ist die erste Botschaft: Während in Berlin zehn Jahre Mauerfall abgehakt werden, empfängt Fidel Castro die versammelten Staatschefs Lateinamerikas, Spaniens und Portugals im nach wie vor sozialistischen Kuba. Wenn heute der 9. Iberoamerika-Gipfel in Havanna beginnt, steht der Comandante en Jefe der Revolution wieder einmal im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Folgerichtig hat Kubas Außenminister Pérez Roque schon jetzt festgestellt: „Der Gipfel wird ein Erfolg!“ Doch ganz so einfach ist dieses Mal nicht – weder für Castro noch für Europäer und Lateinamerikaner.

Dabei sind Iberoamerika-Gipfel im Grunde Heimspiele. Während sonst die USA die Hegemonie über „die Amerikas“, Nord und Süd, beanspruchen, versuchen sich hier Lateinamerika und Europa, vertreten durch Spanien und Portugal, an einer Konkurrenzdiplomatie. Vorgebliche Grundlage ist die Berufung auf das gemeinsame „iberische Erbe“. Praktisch heißt das: Die USA bleiben außen vor – und Kuba ist dabei. Die Verurteilung der US-Sanktionen gegen Kuba ist Standard in allen Abschlusserklärungen gewesen und wird es auch diesmal wieder sein. Zumal gerade erst am Dienstag die UN-Vollversammlung mit 155 gegen 2 Stimmen einmal mehr das Wirtschaftsembargo der USA verurteilt hat.

Dass dieser Iberoamerika-Gipfel nun in Havanna stattfindet, war auch als Affront gegen die Isolationspolitik Washingtons gedacht. Doch jetzt wird das Treffen davon überschattet, dass fünf lateinamerikanische Präsidenten demonstrativ fernbleiben. So etwas hat es noch nie gegeben. Die erste Absage kam von Chiles Präsident Frei. Aus Protest gegen die Pinochet-Anklage in Madrid wollte er sich nicht mit der spanischen Regierung an einen Tisch setzen. Argentiniens Noch-Präsident Menem zog nach, aus Solidarität mit Frei und mit den ebenfalls anklagebedrohten argentinischen Militärs.

Aber dann kamen die Absagen aus El Salvador, Nicaragua und Costa Rica. Begründung hier: die fehlende Demokratie Kubas. Nun verkörpert Nicaraguas Präsident Arnoldo Alemán eine der wohl korruptesten und autoritärsten Varianten der „neuen Demokratien“ Lateinamerikas. Seine Sorge um die Menschenrechte auf Kuba ist ein billiges Manöver, keine Frage. Castro wetterte, dass die USA den Gipfel sabotieren wollen und Druck auf die Staaten ausgeübt haben – auch das dürfte stimmen.

Und dennoch: Die Absagen rühren an ein grundlegendes Problem der europäisch-lateinamerikanischen Kuba-Diplomatie. Denn diese feierte es als einen historischen Meilenstein, als der Iberoamerika-Gipfel vor drei Jahren eine gemeinsame Definition von Demokratie verabschiedete, die ausdrücklich politischen Pluralismus und die individuellen Menschenrechte umfasste – und die Fidel unterschrieb. Manche beschworen bereits große Parallelen: So wie die Schlussakte von Helsinki für die Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa ein zentraler Bezugspunkt in ihrer Kritik an den realsozialistischen Regierungen wurde, so müsste sich Castro künftig an dieser Erklärung des Iberoamerika-Gipfels messen lassen. Große Worte.

Doch seitdem hat die Regierung in Havanna nichts getan, was selbst gutwillige Geister als Schritte zu Demokratie und Menschenrechten liberaler Prägung werten könnten. Im Gegenteil. In den intellektuellen Kreisen ist der Spielraum für öffentliche Kritik spürbar enger als noch vor ein paar Jahren. Im März wurden vier prominente Dissidenten verurteilt. Und: In den Straßen ist seit Anfang des Jahres eine massive Polizeipräsenz zur Normalität geworden. Das gab es seit der Revolution 1959 noch nie.

Jede Geste, jedes Nachgeben, so die Logik der Regierung Castro, würde in dieser Situation als Zeichen der Schwäche interpretiert. Just vor dem heute beginnenden Gipfel verschärfte Castro die Tonlage noch einmal demonstrativ. In einer fünfstündigen Fernsehansprache lancierte er fulminante Angriffe gegen die USA und die Dissidenten auf der Insel („Söldner und Landesverräter“). Und auch der als Führungskopf der „Reformer“ gehandelte Wirtschaftsbevollmächtigte Carlos Lage gab in El Pais ein stoisches Interview: Kubas Einparteiensystem ist sehr viel demokratischer als die Mehrparteiensysteme, weil nur ein sozialistisches System die breite Partizipation des Volkes garantiert etc. etc.

Etliche der trotzdem nach Havanna reisenden Staatschefs kompensieren dies nun, indem sie, zum Missfallen Castros, ein Treffen mit Dissidenten in ihr Programm aufgenommen haben. Diese haben sich tatsächlich seit Monaten auf das Ereignis vorbereitet, haben politische Programme formuliert und Berichte über die Menschenrechtslage verfasst, Treffen organisiert und ihre Internet-Seiten mit frischen Texten bestückt. So erlebt mit dem Gipfeltreffen die internationale Präsenz der kubanischen Dissidenten einen neuen Höhepunkt – aber auch ihre Außenfixierung. Nur ist mangelnde Unterstützung von außen bislang nicht ihr wesentliches Manko gewesen. Ihr Problem ist, dass zwischen Centro Habana und Guardalavaca keiner für sie auf die Straße gehen würde. Oder sie auch nur kennt.

Verurteilte Dissidenten, Polizei auf der Straße – Castro verschärft seinen Kurs

Der Gipfel in Havanna spiegelt so auch das ganze Dilemma der europäischen und lateinamerikanischen Kuba-Diplomatie: Man distanziert sich, völlig zu Recht, von der Konfrontationspolitik Washingtons; gleichzeitig formuliert man auch in den eigenen Dialogbemühungen den Anspruch auf Demokratisierung – und beißt damit in Kuba derzeit auf Granit. Zieht man daraus Konsequenzen, landet man schnell im Fahrwasser der US-Politik. Zieht man sie nicht, verlieren die demokratischen Klauseln ihre Glaubwürdigkeit. Was bedeutet es denn nun eigentlich, dass Fidel vor drei Jahren „Pluralismus“ unterschrieben hat? Wer weiß, vielleicht unterschreibt er es jetzt wieder – und?

Denn dies ist das zweite Dilemma der Kuba-Politik Lateinamerikas und Europas: Mit dem Helms-Burton-Gesetz drohen die USA sehr explizit, auch jede moderate Reformregierung in Havanna, die nicht einer völligen Kapitulation gleichkommt, am ausgestreckten Arm des Embargos und der exilkubanischen Alteigentümeransprüche verhungern zu lassen. Solange diese Politik die Macht hat, jegliche Öffnung in kontrollierter und ausgehandelter Form zu blockieren, stehen die Diplomaten Europas und Lateinamerikas letzten Endes auch gegenüber potenziellen Reformkräften in Kuba mit leeren Händen da. Selbst wenn Aznar, Cardoso & Co. vereint und grundehrlich einen demokratischen Reformkurs in Kuba unterstützen wollten, friedlich und ohne Revanche, in Würde und auch für die jetzige Elite gangbar – es steht schlichtweg nicht in ihrer Macht, ihn möglich zu machen.

Bert Hoffmann

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