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Heute: Moral

Weltpolitik schön und gut - aber was spielt sich eigentlich in den bekannten vier Wänden ab, wenn draußen der Sturm der Geschichte bläst? Wie hältst du's mit der katholischen Dogmatik, polnischer Handelsreisender, der du mit allen Wassern westlicher Unmoral gewaschen bist? Wie vertragen sich kapitalistische Liberalisierung mit den Litaneien der Kardinäle? Beschränkt sich die neugefundene Freiheit darauf, nun wieder Kruzifixe in den Klassenräumen aufzuhängen, oder wird letztendlich die blonde Madonna den Sieg über die schwarze Maria von Tschenstochau davontragen? Es gibt Grund zur Hoffnung: Offenbar läßt die Autorität der Schwarzröcke bei den polnischen Großstadtjugendlichen bereits zu wünschen übrig, nachdem die Kirche kein Reich des Bösen mehr hat, gegen das sie sich aufspielen kann.

Welchen Weg Weihwassermoral nehmen kann, zeigt das Beispiel Spanien im Jahre XV nach dem Tod des Caudillo. Von kynischer Unmoral als Protestverhalten, wie es noch in den frühen Achtzigern fröhlicher Brauch unter Jugendlichen war, ist (zum Bedauern unserer Korrespondentin) nur noch wenig übriggeblieben.

Auch madrilener Wohngemeinschaften sind zu Zweckgemeinschaften heruntergekommen, wenn man nicht überhaupt bei den Eltern wohnen bleibt - wie überall sonst auch, wo die Mieten teuer sind. Auch unter Linken ist Heiraten üblich, und sei es nur, um Scherereien aus dem Weg zu gehen. Spanien hat sich europäisiert, auch in Sachen Moral.

Die DDR ihrerseits hat nicht nur mit der Doppelmoral der Wendehälse zu kämpfen, seitdem die staatlich verordnete Klassenmoral verschwunden ist. Die Keimzelle der bürgerlichen - also unser aller - Gesellschaft, die Familie selbst, droht brüchig zu werden. Früher, gegen den totalen Staat, war sie mehr Überlebens- denn Lebensgemeinschaft. In der allgemeinen Lüge war es gut, zumindest zu Hause „in Wahrheit leben“ zu können. Jetzt, in der allgemeinen Vereinigungswelle, lösen sich die Zweiergemeinschaften, und muntere Individualisierung macht sich breit. Wir sind ein Volk - aber jeder ist für sich alleine. O tempora, o mores!

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