piwik no script img

Heterosexuelle gibt es erst, seit es Homosexuelle gibt. Vorher hat man sich darüber keine Gedanken gemachtGespräche der Anderen

Erwachsen

Martin Reichert

Aus dem Vatikan war unlängst zu hören, dass die Öffnung der Ehe für Homosexuelle im Staate Irland eine „Niederlage für die Menschheit sei“. Im Saarland verstieg sich eine Ministerpräsidentin zu der Ausführung, dass eine solche Öffnung womöglich Inzest und Polygamie befördere –und so weiter. Noch vor wenigen Jahren beförderte eine Google-News Suche mit dem Schlagwort „Homosexualität“ eher kärgliche Resultate aus den Untiefen des Internets. Aber heute? Alles voll. Schwule Pinguine, sich outende Soap-Stars und diese ewig währende Debatte um die Ehe. Das wird einem als Homosexuellem irgendwann zu viel.

Was machen eigentlich die Heterosexuellen? Schaut man ins Netz unter der Rubrik „News“, stößt man in den Beiträgen zunächst auf unzählige „Nicht-Heterosexuelle“. Was bedeutet, dass es sich schon wieder um Homosexuelle handelt, die heiraten wollen. Geht es einmal wirklich um Heterosexuelle, dann um solche, die dagegen sind, dass Homosexuelle heiraten.

Man gewinnt also den Eindruck, dass es Heterosexuelle ohne Homosexuelle gar nicht gibt –und liegt völlig richtig damit: Heterosexuelle gibt es nämlich erst seit der „Erfindung“ der Homosexuellen. Genauer: Es gab keine Bezeichnung für Menschen, die das jeweils andere Geschlecht begehrten. Man hat das einfach so gemacht, ohne darüber nachzudenken. Wie im Hollywood-Film: Boy meets girl, am Ende kommen die Kinder, aber eher nach dem Abspann.

Und nun ist gerade alles aus dem Ruder: Während sich die Homosexuellen eher um ihre Privatangelegenheiten kümmern, diskutieren die Heterosexuellen dauernd darüber, ob die Homosexuellen heiraten dürfen wie sie selbst oder nicht. Während die Mehrheit damit kein Problem zu haben scheint –ist es nicht eine Bestätigung des eigenen Lebensstils, wenn „die Anderen“ genauso leben wollen? –, scheint eine nicht unbedingt winzige Minderheit jetzt erst zu begreifen, was den eigenen Lebensstil ausmacht. Jetzt, wo er angeblich „bedroht“ ist, nämlich von „den Anderen“.

Aus homosexueller Sicht ist es ein wenig seltsam, wenn plötzlich vonseiten der Mehrheitsgesellschaft so viel Aufhebens um einen gemacht wird. Man ahnt zugleich, dass es auch gar nicht um einen selbst geht, sondern viel mehr um die Befindlichkeiten ebenjener Anderen. Und doch ist es genau richtig so, wie es gerade läuft: Ist es nicht die Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft, ihre Minderheiten zu schützen? Dafür zu sorgen, dass auch sie unter menschenwürdigen Bedingungen leben können und in den Genuss gleicher Rechte kommen?

Sollen sich doch alle gerne die Köpfe einschlagen, ob es nun eine Niederlage für die Menschheit ist, wenn zwei Menschen, die sich lieben, heiraten dürfen –oder eben doch ein gesellschaftlicher Fortschritt.

Ich werde jedenfalls mit meinem Lebensgefährten am kommenden Samstag auf den Berliner CSD gehen und mich darüber freuen, dass es uns gibt. Ich bin wild entschlossen, an diesem Tag völlig unpolitisch zu sein und mich einfach in das Getümmel zu stürzen. Wummer-Musik, Sekt und all das. Um die Politik kümmern sich ja gerade die Anderen. Und ich habe den Eindruck, dass die Heteros das schon hinkriegen mit der Öffnung der Ehe für alle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen