Hessens FDP-Chef über Schwarz-Gelb: "Schluss mit der Interviewdiplomatie"
Der stellvertretende hessische Ministerpräsident und Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) greift die Union als Koalitionspartner scharf an und verteidigt seinen Parteichef Guido Westerwelle.
taz: Herr Hahn, Union und FDP beschimpfen sich gegenseitig in der Debatte um Hartz-IV-Empfänger. Ist die Wunschkoalition nach 5 Monaten am Ende?
Jörg-Uwe Hahn: Die FDP ist zu euphorisch in die Koalition gegangen. Wir dachten, die Union sei kompromissbereit. Aber da haben wir uns geirrt. Die Union steckt gedanklich noch in der großen Koalition. Das ewige Querfeuer der CSU gibt zudem das Gefühl, dass Opposition gegen Regierung polemisiert. Ich kann nur sagen: Das haben wir jetzt erkannt und werden es auch ansprechen.
Jörg-Uwe-Hahn, 53, ist seit 2005 Landesvorsitzender der FDP Hessen und seit einem Jahr hessischer Minister für Justiz, Integration und Europa. Der Vizeministerpräsident ist zudem Mitglied des FDP-Bundesvorstands.
Die Union flirtet mittlerweile heftig mit den Grünen.
In Hessen ist das kein Thema - das bestätigen mir Meinungsforscher. Und wenn es in Nordrhein-Westfalen Schwarz-Grün gäbe, hätte auch Angela Merkel mit ihren Konzepten verloren.
Wie tief ist der Graben zur Union?
Er ist nicht unüberwindbar. Aber jetzt ist Schluss mit der Interviewdiplomatie. Auf einen groben Klotz muss manchmal auch ein grober Keil.
Die Debatte wurde durch eine herbe Kritik von Guido Westerwelle angestoßen. Sind Hartz-IV-Empfänger aus FDP-Sicht dekadente Faulenzer?
Jörg-Uwe Hahn: Die Frage ist doch: Wie finanzieren wir unsere Sozialsysteme. Leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe - oder richten sich Empfänger in Hartz IV ein? Die Debatte ist nicht neu. Es wird nur von den Gegnern eine Empörungsstrategie gefahren. Wir bekommen immer wieder Leute in Talkshows vorgeführt, die sagen, dass sie nicht arbeiten wollen. Manche finden es schön, von der Gesellschaft finanziert zu werden. Und jetzt sollen die Hartz-IV-Sätze erhöht werden? Die arbeitenden Steuerzahler müssen das alles finanzieren. Nicht der liebe Gott.
Es entsteht der Eindruck: Die FDP trägt eigene Krisen auf dem Rücken der Schwächsten aus.
Die Argumentation Westerwelles ist fokussiert und auf den Punkt. Er hat wachgerüttelt. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr in der Lage, über soziale Gerechtigkeit offen zu diskutieren. Ich halte es nicht für gerecht, dass jemand staatliche Unterstützung erhält, ohne etwas dafür zu leisten, wenigstens ehrenamtlich.
Der Nordrhein-Westfale Andreas Pinkwart fordert nun, Westerwelle solle Macht teilen.
Die Umfragewerte der FDP sind nicht gut. Andreas Pinkwart muss seine Landtagswahl für die Partei und für sich gewinnen. Ich glaube nicht, dass seine Aussage den wahren Zustand der FDP widerspiegelt. Ich nehme mir jedenfalls die Macht, die ich brauche, und trage genug Verantwortung. INTERVIEW: GORDON REPINSKI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau