Hessen auf dem Weg zum Linksbündnis: Ypsilantis Arithmetik
Es erstaunt, dass eine SPD-Linke das erste Bündnis mit der Linkspartei im Westen schließt. Eigentlich müsste es ein SPD-Rechter tun.
BERLIN taz Wenn der hessische SPD-Landesvorstand an diesem Mittwochabend den Weg für ein Linksbündnis in dem Bundesland freimacht, sieht wieder alles nach einer Niederlage für den gebeutelten SPD-Chef Kurt Beck aus. Allzu resignativ hat der Pfälzer erklärt, den Wiesbadener Parteifreunden die Entscheidung zu überlassen, allzu leichtfertig hatte er vor Monaten verkündet, die hessische Spitzenfrau Andrea Ypsilanti werde ihren Kopf nicht nochmals an derselben Wand einschlagen.
Gescheitert ist die SPD-Bundesspitze allerdings nicht an mangelnden Überredungskünsten in den vergangenen Tagen. Endgültig gescheitert ist mit dem heutigen Tag ein Umgang mit der Linkspartei, der mehr vom persönlichen Ressentiment der Akteure getragen war als von politischer Logik. Statt sich von der politischen Konkurrenz in der Sache scharf abzugrenzen, wie es die potenziellen Bündnispartner CDU und Grüne derzeit beim Atomthema tun, verwässerte die einstige Reformpartei ihr Profil und begab sich stattdessen in die aussichtslose Defensive einer koalitionspolitischen Abgrenzungsdebatte.
So wurde zuletzt immer klarer, dass die SPD ihre widersprüchlichen Ansagen zur Linkspartei ohnehin nicht bis zur Bundestagswahl im September nächsten Jahres durchhalten kann. Eine Zusammenarbeit mit der Linken in Wiesbaden abzulehnen und bei der Bundespräsidentenwahl im Mai um deren Stimmen für Gesine Schwan zu werben, bei den Landtagswahlen in Thüringen und dem Saarland eine Koalition zumindest offenzuhalten, um sie im Bund wieder strikt auszuschließen: Eine solche Bündnisarithmetik für Fortgeschrittene lässt sich allenfalls aus internen Querelen erklären, aber nicht nach außen vermitteln.
Unter diesen Umständen kann sich die SPD auch bundespolitisch nichts davon versprechen, die Entscheidung in Hessen weiter ungeklärt zu lassen. Da erscheint es aussichtsreicher, mit hinreichendem Abstand zur Bundestagswahl vollendete Tatsachen zu schaffen.
Wenig plausibel erscheint auch das Argument einer höheren politischen Moral. Warum eine Zusammenarbeit mit versprengten westdeutschen Altkommunisten verwerflich sein soll, während Koalitionen mit den SED-Nachfolgern im Osten allseits akzeptiert sind - das konnte bislang niemand schlüssig erklären. Anders als bei den ostdeutschen Landesverbänden gibt es bei der westdeutschen Linken zwar begründete Zweifel, ob sie regierungsfähig und regierungswillig ist. Das ist aber eine pragmatische Frage, keine Grundsatzentscheidung.
Es bleiben drei Probleme. Erstens: dass sich Ypsilanti im Wahlkampf von Beck drängen ließ, eine Zusammenarbeit mit der Linken strikt auszuschließen - und dass sie anschließend nicht einmal zum Schein einen halbwegs ernst zu nehmenden Versuch unternahm, dieses Versprechen durch anderweitige Sondierungen zu erfüllen.
Zweitens: dass sie aufgrund dieser Vorgeschichte nur eine Tolerierung anstrebt, nicht aber eine förmliche Koalition. Wo die SPD die Linke auch formal in die Verantwortung eingebunden hat wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, hat sie auf Kosten der Linken davon profitiert. Wo sie der damaligen PDS das bequeme Modell einer vergleichsweise unverbindlichen Tolerierung anbot wie in Sachsen-Anhalt, war es umgekehrt.
Das dritte Problem wiegt am schwersten: Ypsilanti gehört in der SPD dem linken Flügel an - und ist daher denkbar ungeeignet, eine Koalition mit der Linkspartei erfolgreich anzuführen. Das erste Bündnis mit den Grünen wurde in Hessen von einem Ministerpräsidenten geschlossen, der zuvor mit der Dachlatte auf die Vertreter der Ökopartei losgehen wollte. Auf Bundesebene war es der Autokanzler Gerhard Schröder, der als Erstes mit der Umweltpartei paktierte. Und als Klaus Wowereit sein Berliner Bündnis mit der PDS schloss, galt der Verfechter eines harten Sparkurses noch nicht irrtümlich als Linker. Ähnliches trifft auf Harald Ringstorff zu, der in Mecklenburg-Vorpommern acht Jahre lang mit Rot-Rot regierte.
Dass die SPD-Linke Bündnisse mit der Linkspartei anstrebt und die SPD-Rechte sie strikt ablehnt: das gehört zu den am schwersten verständlichen Phänomenen im parteiinternen Richtungsstreit. So macht eine stärkere programmatische Linksorientierung für die Sozialdemokraten nur dann Sinn, wenn sie die Linkspartei dadurch wieder aus den Parlamenten herausdrängen können - und gerade nicht mehr mit ihr koalieren müssen. Wer umgekehrt ein Festhalten am Mitte-Kurs propagiert, öffnet zur Linken den Raum für die dauerhafte Etablierung der Linkspartei - und muss zumindest grundsätzlich zu Koalitionen bereit sein, will er sich nicht zum Billigtarif als Dauerpartner der Union andienen. Letzteres erklärt die Lautstärke, mit der die CDU den Hessen-Alarm intoniert.
Dass auch Sozialdemokraten noch zu politischer Vernunft fähig sind, das demonstriert allein die Entschlossenheit, mit der sich Ex-Fraktionschef Jürgen Walter jetzt als möglicher Wirtschaftsminister ins rot-grün-rote Wagnis stürzt. Eigentlich müsste das Bündnis mit der Linken sein Projekt sein, nicht dasjenige Andrea Ypsilantis.
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