Hessen-SPD soll über Linkskoalition abstimmen: Ypsilanti will es wieder wagen
Showdown in Hessen: SPD-Landeschefin hat angekündigt, einen Landesparteitag über einen neuen Anlauf mit der Linkspartei entscheiden zu lassen.
Das gefällt dem Bilderbuchförster Volker Diefenbach und seinen Waldarbeitern, denen Billiglöhner aus dem Baltikum oder der Ukraine die Arbeitsplätze streitig machen. Die "gute Arbeit", die hier im Forst bei Bad Schwalbach geleistet werde, mache die geschäftsführende Landesregierung mit ihrem "Privatisierungswahn" zunichte, sagt Andrea Ypsilanti. Dann teilen die Forstleute eine deftige Erbsensuppe mit Wildeinlage aus - bei 30 Grad im Schatten.
Die hessische SPD-Vorsitzende ist auf Sommerreise. "Gute Arbeit und mehr!" ist das Motto. Sie will Entwicklungspotenziale alter und neuer Branchen erkunden, sich über die Ausbildung benachteiligter junger Menschen informieren.
Politiker unternehmen eine solche Sommertour normalerweise, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber hat Ypsilanti das nötig? Bekannter kann ein Mensch in seinem Berufsleben nicht mehr werden. Nachdem sie ihr Versprechen aus dem Landtagswahlkampf brach, niemals mit der Linkspartei zu koalieren, und sich mit deren Stimmen zur Ministerpräsidenten wählen lassen wollte, erschütterte ein mediales Erdbeben nicht nur Hessen. Die Welle der Empörung, auf der Ministerpräsident Roland Koch (CDU) vergnügt surfte, schwappte bis nach Berlin.
Als dann die Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger ankündige, Ypsilanti die Gefolgschaft zu versagen, war das Desaster perfekt. Jedes Kind kannte jetzt den Namen der unglücklichen Politikerin aus Südhessen, die eine Politikwende inszenieren und die SPD zurück auf die Regierungsbank führen wollte. Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und sein Rumpfkabinett regieren bis heute geschäftsführend weiter. Koalitionen zeichnen sich nicht ab. Dafür vielleicht Neuwahlen zeitgleich mit der Europawahl im Juni nächsten Jahres. Aus und vorbei.
Oder doch nicht? Ypsilanti will es wieder wagen und anders als beim ersten Anlauf im Landtag auch tatsächlich antreten - "wenn die Landespartei das auch will", sagte sie im Forst. Schließlich habe die Zusammenarbeit mit Grünen und Linken im Landtag bislang ausgezeichnet funktioniert. Wichtige Gesetze und Verordnungen wie etwa die Abschaffung der Studiengebühren oder Reformen im Schulbereich seien verabschiedet worden, auch in der Energiepolitik bestehe unter den möglichen Koalitionspartnern weitgehend Einigkeit.
Grüne und Linke drängen die SPD ohnehin schon seit Wochen zu einer Entscheidung. Der hessische Grünen-Chef Tarek Al-Wazir machte einen neuen Anlauf zur Machtübernahme von dauerhaften Zusagen der Linken abhängig. "Für Himmelfahrtskommandos sind wir nicht zu haben", sagte er in einem Zeitungsinterview. Von Ypsilanti erwarte er eine Aussage über ihre weiteren Absichten.
Avisiert sei jetzt eine Entscheidung auf dem Parteitag im September, meint Ypsilanti. Bis dahin will sie überall in den Unterbezirken "in die Partei hineinhorchen". Dass Parteifreunde in Berlin auf eine Verschiebung des Parteitags über die Bayernwahl hinaus drängen, sieht sie leidenschaftslos. Eine Verschiebung sei "kein Beinbruch". Und dann sagt sie auch noch, was es in Hessen ganz bestimmt nicht geben werde: eine große Koalition.
Der hessische CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg kritisierte am Wochenende erneut die "Wahlbetrügerin" Ypsilanti: "Wer glaubt, dass die Linkspartei verlässlich ist, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten."
Da wendet sich die Parteivorsitzende im Revier des Sozialdemokraten Diefenbach lieber den Sachthemen zu, fragt nach und diskutiert mit. Die Wälder im Taunus würden in immer kürzeren Zeitabständen von Stürmen heimgesucht, berichtet Diefenbach. Die Unwetter seien "Vorboten des Klimawandels. Man versuche, die nach dem Sammelhieb der geknickten Baumbestände freigeräumten Flächen durch naturgemäßen Waldbau nachhaltig wieder aufzuforsten. Ypsilanti wirkt sachkundig. Als sie am Morgen aus dem Dienstwagen stieg, hatten einige Forstleute noch breit gegrinst: weiße Leinenhose, weiße Bluse, weiße Mokassins. Ypsilanti trug ihre Urlaubsklamotten aus Frankreich. Sie ist gerade aus den Ferien zurück, wirkt entspannt. Noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht