Hess-Natur klagt gegen Verbraucher: Kritik unerwünscht
Der Ökomodeversand Hess-Natur wurde an einen Finanzinvestor verkauft. Jetzt geht der Händler gegen unliebsame Äußerungen vor.
BERLIN taz | Wenige Monate nach seiner Übernahme durch einen Schweizer Investor wehrt sich das Ökobekleidungsunternehmen Hess-Natur gegen kritische Verbraucher und greift dabei auch auf juristische Mittel zurück.
Per einstweilige Verfügung hat das neue Management den Machern der Initiative „wir-sind-die-konsumenten-de“ unter anderem verbieten lassen, zu verbreiten, dass Gelder der Kunden über den neuen Investor in die Rüstungsindustrie fließen würden. Die Betreiber der Webseite kündigten Widerspruch an.
Die Berliner Johannes Mosmann und Andreas Schurack hatten die Internetseite Ende 2011 gegründet, als Gerüchte aufkamen, dass der damals dem Karstadt-Quelle-Mitarbeiter-Trust gehörende Ökomodenhersteller von der Schweizer Beteiligungsgesellschaft Capvis gekauft werden sollte.
Der Private Equity Fonds hatte zuvor unter anderem den Haushaltswarenproduzenten WMF übernommen und ihn strikt auf Rendite ausgerichtet. Mitarbeiter und Kunden fürchteten ein ähnliches Vorgehen bei Hess-Natur. Die Seite sollten kritischen Kunden Gelegenheit geben, ihr Missfallen gegen einen Verkauf an Capvis auszudrücken.
Genossenschaftsgründung des Betriebsrats
Als sich die Berichte verdichteten, gründeten der Hess-Natur-Betriebsrat, das Netzwerk Solidarische Ökonomie, die Attac AG Solidarische Ökonomie sowie die Kampagne für Saubere Kleidung eine Genossenschaft, um selbst ein Angebot für das Unternehmen abzugeben. Die Besucher der Webseite wurden aufgefordert, Statements abzugeben, welche Produkte sie kaufen würden, wenn Hess-Natur an die Genossenschaft ginge.
Unter anderem heißt es dort etwa: „Als langjährige Kundin bin ich entsetzt über die momentane Entwicklung, die deutlich macht, dass es Hess-Natur in der bisherigen Form nicht mehr geben wird. Daher werde ich künftig bei Unternehmen kaufen, die meinen Vorstellungen in Bezug auf die Unternehmensführung entsprechen. Gott sei Dank gibt es diese ja.“ Ob es sich tatsächlich um eine ehemalige Kundin handelt, ist nicht festzustellen.
Mosmann und Schurack begleiteten die Aktivitäten der Genossenschaft auch weiter, als der Trust am 31. Mai an Capvis verkaufte. Auf der Seite finden sich Informationen zur Übernahme – die Dokumente mit den beanstandeten Aussagen sind allerdings mittlerweile entfernt.
Drohung mit Schadensersatzklage
„Unsere Kunden sollen nicht durch Falschbehauptungen in die Irre geführt werden“, begründet Hess-Natur-Sprecherin das juristische Vorgehen. Neben der Verbreitung falscher Tatsachen wirft das Unternehmen den Aktivisten auch den Aufruf zum Boykott vor – und droht mit einer Schadenersatzklage. Für geschäftsschädigend hält sie den Weg nicht: „Es geht hier nicht um Marketing, sondern darum, Falschbehauptungen entgegenzutreten.“
In der Begründung, die das Unternehmen an das Gericht geschickt hat, ist von ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung die Rede. So heißt es: Hess-Natur „betont ihre unternehmerische und gesellschaftliche Rolle insgesamt, auch und gerade gegenüber den einzelnen Menschen […], denen man mit Achtung und Toleranz begegnet“.
Dass sie die umstrittenen Äußerungen nun erst einmal von der Seite entfernen mussten, sehen Mosmann und Schurack als vorübergehende Niederlage an. „Wir stehen zu unseren Aussagen“, sagt Mosmann. Mittlerweile hätten hätten mehrere Nutzer angeboten, sie bei den Anwaltskosten zu unterstützen.
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