Hertie pleite: Aus nach 127 Jahren
2.800 Beschäftigte verlieren ihren Job. Ohne Not, schimpfen Betriebsräte, Gewerkschafter und Insolvenzverwalter: Schuld seien die übertriebenen Renditeerwartungen der Hertie-Besitzer.
BOCHUM taz | Nach dem Aus für die traditionsreiche Warenhauskette Hertie erheben Arbeitnehmervertreter und Gewerkschafter schwere Vorwürfe gegen den Besitzer der Kaufhäuser, den britischen Finanzinvestor Dawney Day. "Ohne Not werden rund 2.800 Arbeitsplätze vernichtet", so der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Horn. "Finanzhaie" seien die Investoren von Dawney Day, sagte Cornelia Haß, die Sprecherin des Bundesvorstands der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, der taz. "Dawney Day war allein an schneller Rendite interessiert. Vom Einzelhandel haben die keine Ahnung." Auch Insolvenzverwalter Biner Bähr sprach von einer "wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren Verweigerungshaltung von Dawney Day".
Zuvor hatte die Gläubigerversammlung Mittwochnachmittag am Konzernsitz Essen beschlossen, alle 54 noch bestehenden Hertie-Kaufhäuser zusammen mit der Zentrale zu schließen. Vorausgegangen waren monatelange Verhandlungen zwischen Insolvenzverwalter und Finanzinvestor: Noch im April hatte Bähr eine Gruppe ausländischer Interessenten - nach Hertie-Angaben alles erfahrene Handelsexperten - präsentiert, die alle Kaufhäuser weiterbetreiben und die Arbeitsplätze sichern wollte. Zur Absicherung des Geschäfts hatte die nordrhein-westfälische Landesregierung bereits eine Bürgschaft in Aussicht gestellt. Doch das Übernahmeangebot scheiterte nach Angaben von Betriebsrat, Gewerkschaft und Insolvenzverwalter an Dawney Day: Der Finanzinvestor habe völlig überzogene Mietforderungen gestellt. Schon Ende Januar hatte Bähr gewarnt, Dawney Day erwarte Mieten, die bis zu 20 Prozent des Umsatzes entsprächen. "Im Einzelhandel gilt: Liegt die Miete bei über 10 Prozent des Umsatzes, ist der Laden tot", sagt Ver.di-Sprecherin Haß dazu. Er komme sich vor wie ein Arbeitnehmer zweiter Klasse, schimpfte auch Betriebsratschef Horn - seit Monaten diskutiere die Öffentlichkeit nur über die Rettung von Großunternehmen: "Wir wollen keine Staatshilfen. Was wir wollen, sind Mietverträge."
Hintergrund ist die Pleite von Dawney Day selbst. Die Briten mussten bereits im Juli 2008 Konkurs anmelden - und haben die Hertie-Immobilien an Tochterunternehmen ihres verschachtelten Firmenkonglomerats weitergereicht. Alleiniger Hertie-Eigner ist heute offenbar die niederländische Mercatoria Acquisitions BV, die von einer US-Firma und einer weiteren Tochter Dawney Days gehalten wird. Und Mercatoria will die Immobilien schnell zu Geld machen: Bereits im März wurden 19 Hertie-Filialen geschlossen, einige Häuser sind bereits verkauft. Sprecher des Finanzinvestors betonten, Dawney Day habe über 180 Millionen Euro in die Sanierung von Hertie gesteckt. Aber der Immobilien-Hedgefonds, den Dawney Day zur Finanzierung der Hertie-Übernahme an der Londoner Börse eingerichtet hatte, wies 2007 in Deutschland Haus- und Grundbesitz im Nennwert von 2,2 Milliarden Euro aus.
1882 von dem jüdischen Kaufmann Hermann Tietz gegründet, betrieb das Unternehmen schon in den Zwanzigerjahren allein in Berlin zehn große Warenhäuser, darunter auch das Kaufhaus des Westens (KaDeWe). Nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten firmierte der Konzern ab 1935 unter dem Kürzel Hertie. 1993 wurden die damals 307 Häuser vom Konkurrenten Karstadt geschluckt. Schon vor vier Jahren verkaufte Karstadt 74 kleinere Häuser an die Finanzinvestoren von Dawney Day, die den Namen Hertie wiederbelebten. Jetzt droht vielen der Beschäftigten die Langzeitarbeitslosigkeit. Der Altersdurchschnitt der MitarbeiterInnen liegt bei Mitte vierzig. Um ihre Arbeitsplätze zu sichern, hatten sie einem Sanierungstarifvertrag zugestimmt: Schon seit Jahren verzichten sie auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld - und damit auf bis zu 10 Prozent ihres Gehalts.
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