Hertha: Saisonziel erreicht und verfehlt
Durch ein 0:4-Debakel beim Absteiger Karlsruher SC verpasst Hertha die Qualifikation für die Champions League. Im nächsten Jahr muss nun weiter gespart werden - bei gestiegenen Erwartungen.
Karlsruher SC - Hertha BSC 4:0 (2:0)
Karlsruher SC: Miller - Celozzi, Langkamp, Franz, Eichner - Mutzel (86. Staffeldt), Aduobe (63. Drpic) - Freis, Stindl (84. Federico) - Kennedy, Iaschwili
Hertha BSC: Drobny - Piszczek, von Bergen, Simunic, Stein - Dardai, Kacar - Ebert, Cicero (46. Woronin) - Raffael (68. Lucio), Pantelic
Schiedsrichter: Weiner (Giesen) - Zuschauer: 30.600 (ausverkauft)
Tore: 1:0 Freis (33.), 2:0 Franz (40.), 3:0 Kennedy (62.), 4:0 Kennedy (71.)
Gelbe Karten: Eichner (5) / Cicero (9), Simunic (5), Drobny (5)
Beste Spieler: Kennedy, Iaschwili / Drobny
Traurig trotteten in Karlsruhe am späten Samstagnachmittag 22 Fußballprofis vom Platz. Dieses Saisonfinale im Wildparkstadion brachte etwas Seltenes hervor: nur Verlierer. Für die Berliner war beim Karlsruher SC ein monatelanger wilder Ritt durch das Reich der Fantasien brüsk zu Ende gegangen. Ausgerechnet gegen einen Gegner, der trotz seines 4:0-Kantersieges künftig eine Klasse tiefer spielen muss.
In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich viele bei Hertha BSC, die lange Zeit nichts außer Durchschnittlichkeit kannten, ein wunderschönes Luftschloss namens Deutsche Meisterschaft ausgemalt. Mit immer kräftigeren Farben, bis zum vorletzten Samstag, als man gegen Schalke nicht über ein 0:0 hinauskam.
Der Verlust der großen Utopie war schmerzlich, aber es blieb ja noch etwas, was vor der Saison jeder als eine Fata Morgana abgetan hätte: der Qualifikationsplatz für die Champions League. Nichts weiter als ein Sieg gegen den Tabellenletzten Karlsruhe wäre dazu nötig gewesen. Doch der Paukenschlag, mit dem diese gute Saison für Hertha enden sollte, geriet zu einem Schlag ins Leere.
Das 1:0 durch den KSC in der 33. Minute wirkte auf die Berliner wie ein anaphylaktischer Schock. Die Mannschaft brach in sich zusammen. Am Ende schoss gar KSC-Stürmer Joshua Kennedy, ligaweit als Personifizierung der Harmlosigkeit verspottet, seine ersten beiden Saisontore. Hertha-Manager Dieter Hoeneß rang danach um Fassung: "Das ist eine bittere Enttäuschung. Wir haben uns an zwei Spieltagen um den Lohn der Arbeit gebracht."
Seine Emotionen ließen ihn ganz vergessen, dass er zuvor die Saison bereits wegen der Qualifikation für die Europa-League als großen Erfolg verbucht hatte - unabhängig von der letzten Partie. Es war die Rede vom "Sahnehäubchen", mit dem man den rundum gelungenen Kuchen vollenden wollte. Ein Blick in die Gesichter verriet, dass Hertha versehentlich die Tube mit dem extrascharfen Senf erwischt hatte. Dass das Garnierwerk durchaus substanziellen Schaden anrichten kann, verdeutlichte Hoeneß mit der Bemerkung: "Jetzt müssen wir in der kommenden Saison kleinere Brötchen backen."
Eine Botschaft, die grotesk anmutet. Immerhin hat Hertha seit seinem Aufstieg 1997 nie so viele Punkte (63) geholt wie in dieser Spielzeit. Erstmals gehörte man zum engen Kreis der Titelkandidaten. Das vor der Saison höchst ehrgeizig formulierte Ziel, sich für die Europa-League zu qualifizieren, hatte man bereits vorzeitig erreicht. Hertha gehört zu den großen Überraschungen der Bundesliga. Und das hatte auch Auswirkungen auf die vergleichsweise fußballresistente Stadt. Eine Euphorie unbekannten Ausmaßes sorgte für einen beträchtlichen Publikumszuwachs. Der Besucherschnitt konnte um 7.000 Zuschauer (52.000) gesteigert werden.
Doch die Mehreinnahmen, die der Club in dieser Saison generierte, sind bereits von den drückenden Schulden geschluckt worden. Obwohl die Verbindlichkeiten in den letzten Jahren von 55 auf 30 Millionen Euro deutlich gesenkt werden konnten, verfügt der Verein weiter über wenig Handlungsspielraum. Nur mit der Qualifikation für die europäische Königsklasse und den damit verbundenen Zuwendungen von bis zu 20 Millionen Euro hätte Hertha in das Team investieren können.
Jetzt muss laut Haushaltsplan trotz des sportlichen Entwicklungssprunges unter Trainer Lucien Favre der Personaletat für die kommende Saison um gut fünf Millionen Euro gekürzt werden. Notgedrungen wird sich Hertha nach einem einträglichen Angebot für einen seiner guten Spieler umschauen. Die Stürmer Andrej Voronin und Marko Pantelic, der eine ausgeliehen, der andere vertraglich ungebunden, gehen ohnehin.
Hoeneß hat sich mit Favre bewusst einen Fußballstrategen ins Haus geholt, der lieber ein Kollektiv aus fleißigen Talenten als ein Ensemble eigenwilliger Stars dirigiert, einer, der ein Team optimal nach seinen Möglichkeiten auszurichten vermag. Letztlich bestimmt der Geldbeutel Herthas Taktik. Die Initiative auf dem Platz vertrauten sie in dieser Saison häufig der individuell meist besser bestückten Konkurrenz an. Doch deren Angriffe ließen die Berliner gewieft eins ums andere Mal ins Leere laufen. Umgekehrt zahlten sich ihre spärlichen Investitionen ins Offensivspiel meist gewinnbringend aus. So viel Absicht, so viel Kalkül hat man hinter Herthas Ballstafetten und Bewegungsabläufen vielleicht noch nie gesehen.
Wie man künftig eigentlich Unvereinbares, nämlich den Sparzwang und die Etablierung im oberen Tabellendrittel, zusammenbringen kann, das bleibt die spannende Frage. Ein guter Trainer braucht auch gute Spieler, weiß Hoeneß. Außerdem gilt es die neue Begeisterung für Hertha am Leben zu halten. Es ist nur schwer vorstellbar, wie Favre ohne große Verstärkungen den von ihm selbst eingeforderten nächsten Schritt bewältigen will: Hertha soll mehr agieren als reagieren.
Es ist der alte Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der aufgrund der neuerdings gestiegenen Erwartungen an Schärfe gewinnen dürfte. Bestehende Unstimmigkeiten zwischen Manager Dieter Hoeneß und dem Präsidium von Hertha, die trotz des Erfolges publik wurden, könnten im Verlaufe einer Negativserie tiefere Risse durch den Verein nach sich ziehen. Auch hier steht der Club vor einer großen Bewährungsprobe: Wie gut gelingt der Übergang von Manager Dieter Hoeneß, der nächsten Sommer aufhören wird, zu seinem Nachfolger?
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