Hertha verliert Tabellenspitze: Zu viel Druck, zu wenig Konzentration
Dank einer Heim-Niederlage gegen Borussia Dortmund ist Hertha die Tabellenführung los. Vielleicht war die Anspannung zu groß - vielleicht hat das Team auch nur geschlampt. Jetzt heißt das Ziel wieder: Uefa-Cup-Platz sichern.
Die in dieser Saison so bewährten Schablonen waren mit diesem Spiel nicht zur Deckung zu bringen: Die effizienten Minimalisten aus Berlin ließen eine Handvoll bester Chancen ungenutzt und mussten sich Dortmund, dem Unentschieden-Meister, 1:3 geschlagen geben.
Wie war das nur möglich? Zerbrachen die Hertha-Spieler unter dem Erwartungsdruck ihrer Fans, die Tabellenführung zu verteidigen? Erstmals seit Jahren war das Olympiastadion mit 74.244 Zuschauern ausverkauft, obwohl der Gegner nicht Bayern München hieß. Träge wirkten die Berliner vor allem in den ersten 25 Minuten. Vielleicht habe all das eine Rolle gespielt, sagte Manager Dieter Hoeneß.
Die Trainer beider Mannschaften verwahrten sich indes gegen allzu küchenpsychologische Diagnosen. Bei den Siegen gegen Leverkusen und Gladbach habe man den gleichen Druck gehabt, sagte Hertha-Trainer Lucien Favre. Diese Spiele hätten ebenso verloren gehen können. Umgekehrt wäre auch gegen Dortmund etwas möglich gewesen angesichts der vielen Torchancen. Der 51-Jährige aus der französischen Schweiz schloss mit der Erklärung: "Es kann nicht immer nur für uns sein." Eine gute Gelegenheit für Dortmunds Trainer Jürgen Klopp, sogleich mit der ärgerlichen Mär aufzuräumen, dass sein Team stets nur Mittelmäßiges zustande bringe: "Viel schlechter haben wir bei unseren vielen Unentschieden auch nicht gespielt."
Stark konturierte Schablonenzeichnungen eignen sich eben nicht, um Mitglieder der leistungsdichten Bundesliga abzubilden: Ein verlorenes Spiel reicht, um von einem Extrem ins andere zu taumeln. Vor dem Spiel versuchte der Stadionsprecher den Hertha-Hype mit den Worten zu befeuern: "Liebe Fans, die Party geht weiter." Nach dem Schlusspfiff hingegen machte schnell das Wort Negativspirale die Runde. Arne Friedrich warnte, man solle sich jetzt nach den verlorenen Spielen gegen Stuttgart und Dortmund nicht einreden lassen, dass die Mannschaft nun in einem solchen Abwärtsstrudel sei. Marko Pantelic forderte: "Wir müssen versuchen, aus der Negativspirale herauszukommen."
Der Stürmer als auch Hoeneß erinnerten daran, dass man das von einigen bereits als zu bescheiden bezeichnete Saisonziel nicht aus den Augen verlieren dürfe: die Qualifikation für den Uefa-Cup. Hertha ist in einer heiklen Situation. Der gestürzte Tabellenführer ist als Dritter nach wie vor von allen Köstlichkeiten umgeben, die die Bundesliga zu bieten hat: Meistertitel, Champions-League- und Uefa-Cup-Plätze. Am Ende aber könnte sie zu den Habenichtsen der Liga zählen; Hoeneß etwa machte nun auf die nachrückende Konkurrenz aufmerksam. Man habe registriert, dass Stuttgart wieder gewonnen habe, sagte er.
Gleichwohl sah der Manager lediglich Nachbesserungsbedarf im Spiel der Hertha. "Nur kleine Defizite" müssten beseitigt werden, so Hoeneß. "Wir haben manchmal vergessen, mit 100 Prozent Konzentration zu verteidigen", bemängelte Trainer Favre. Beim 0:1 durch Alexander Frei fehlte den Hertha-Verteidigern Steve von Bergen und Arne Friedrich etwas Aufmerksamkeit zum guten Stellungsspiel.
Zum Glück für Hertha wurde ähnliches Fehlverhalten nicht immer so hart bestraft. Bei den Toren zwei und drei der Dortmunderpatzte die Hertha-Defensive allerdings gründlich. Sebastian Kehl konnte völlig unbedrängt in der Strafraummitte zum 1:2 einnicken. Und das 1:3 von Nelson Valdez wäre ohne die Hilfe von Torwart Jaroslav Drobny und Rodnei nicht denkbar gewesen.
In der Offensive wiederum scheiterten Maximilian Nicu, Andrej Woronin und Cicero aus äußerst aussichtsreichen Positionen am Gästekeeper Roman Weidenfeller, während Raffael den hoffnungslos anmutenden Versuch, es im Alleingang mit der kompletten Dortmunder Abwehr aufzunehmen, erfolgreich zum zwischenzeitlichen 1:1 vollendete.
Die Last der Tabellenführung ist Hertha jedenfalls los. Vor einigen Wochen hatte Hoeneß ja noch bekannt, dass ihm die Rolle des Jägers sowieso lieber sei als die des Gejagten. Kaum schien er sich mit dem Platz an der Spitze angefreundet zu haben, muss er sich nun wieder umstellen. "Kurz vor Schluss ist es schon besser, wenn du vorne bist", sagte Hoeneß am Samstag. Dem bislang heimstarken Hertha steht ein hartes Restprogramm bevor: Von den verbleibenden acht Spielen müssen die Berliner fünf auswärts bestreiten.
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