: „Hertha nicht gleich Hertha“
Box-Bundesliga: Boxring Hertha BSC Berlin bezwang den 1. Boxclub Magdeburg, den amtierenden Mannschaftsmeister. Das ändert aber nichts daran, dass Schultheiss die Magdeburger sponsert
von MARKUS VÖLKER
Im Keller der Bruno-Gehrke-Halle hängen die Boxsäcke wie Stalaktiten von der Decke. Als ob sie fragile Gewächse wären, rührt sie an diesem Samstagabend keiner der Boxer an. Nervös tänzelt ein Sportler vor dem Spiegel. Ein anderer liest versunken Statistiken. Käsiger Mief macht sich von den Bandagen der Kämpfer aus im Raum breit und mischt sich mit dem Geruch von Duschlotion.
Eine Etage drüber fliegen die Fäuste. Über 300 Zuschauer johlen. „Ha-Ho-He, Hertha BSC“ rufen einige Anhänger vom Fanclub der Hertha-Frösche. Sie sind zahlreich gekommen. Beim Fußball wurden sie ihre Sprüche nicht los. Das Spiel der Kicker von Hertha gegen Unterhaching wurde abgesagt. Ihr Ersatztermin: Bundesligaboxen zwischen dem Boxring Hertha BSC Berlin und dem 1. Boxclub Magdeburg, dem amtierenden Mannschaftsmeister.
Der Hinkampf wurde in dieser Saison mit 10:16 verloren. Damals, so sagen die Berliner, hätte das Kampfgericht auf Seiten der Magdeburger gestanden. „Die skandalösen Vorfälle wurmen Berlins Boxer immer noch mächtig“, haben die Herthaner in ihr Programmheft geschrieben. Damals kam ein Gong zur letzten Runde ein paar Sekunden zu früh, so dass der Magdeburger Halbmittelgewichtler, der vor dem K.o. stand, nach Punkten gewinnen konnte.
Der Boxring muss sich diesmal nicht beschweren. Sie gewinnen mit 15:11. Die Kampfrichter sind ihnen gewogen. „Die sind eben das schwächste Glied in der Kette“, sagt Hans-Peter Miesner, der Präsident des Berliner Boxverbands.
Kraft seiner Schläge hat Oliver Gabrisch seinen Gegner bezwungen. Gabrisch ist ein kleiner Mann. 20 Jahre alt. Er startet in der 60-Kilo-Klasse. Nach dem Kampf gegen Mathias Scherfling, den er mit 21 zu 5 Punkten bezwang, plaudert Gabrisch aufgedreht.
Der Boxring gegen Magdeburg, das sei wie Hertha gegen Bayern München im Fußball. Aber Fußball sei nicht so sein Ding. „Ich mag das einfach nicht, wenn ich mich noch auf zehn andere verlassen muss.“ Mike Tyson war sein Vorbild, bis zum Ohrbiss. Nun mag er Thomas Ullrich, den Mann, von dem die Kirch-Gruppe ebenso erwartungsfroh wie berechnend als dem größten deutschen Hoffnungsträger im Pofiboxen spricht.
Gabrisch hat das Profitum längst abgehakt. Da brauchen sie keine kleinen, schmächtigen Männer, die eifrig Punkte sammeln, sondern schwere Männer mit einer kräftigen Schlaghand, die den Kontrahenten ins Nirwana hauen kann. Der spacke Bursche lässt nichts aufs Amateurboxen kommen. „Hier gammelt niemand wie Rocky“, meint er. Und: „Unsere Leute möchten am nächsten Tag noch in den Spiegel gucken können.“
Von der natürlichen Überlegenheit des Amateurboxens ist auch Hans-Peter Miesner überzeugt. „Hier werden in allen neun Kämpfen erstklassige Leistungen gebracht“, sagt er. „Bei den Profis gibt es nur einen guten Kampf, ansonsten meist untrainierte Leute.“ Die Boxbundesliga, in der sechs Teams fighten, hält er sogar für eine „europäische Spitzenliga“. Immerhin stehen drei deutsche Meister im Ring, ein Juniorenweltmeister, überdies je ein dänischer, tschechischer und holländischer Landesmeister.
Vor drei Jahren wurde der Boxring gebildet. Er vereint die besten Boxer Berlins, die vom SV Nord-Nordstern, Stahl Schöneweide oder vom TSC kommen. Bundestrainer Ale Angrick führt sie zusammen. Der renommierte Name Hertha BSC hat den Boxern nicht so viel gebracht wie erhofft. Das Budget liegt unter 200.000 Mark. Besonders ärgerlich: Die Magdeburger haben durch die Unterstützung der Berliner Schultheiss-Brauerei doppelt so viel Geld zur Verfügung. „Blöd, dass Schultheiss die sponsert und nicht uns“, sagt Angrick.
Es ist nicht das einzige Problem, mit dem er sich herumschlagen muss. „Die Bundesliga lässt sich wegen des Terminplans der Nationalmannschaft nicht immer mit Leistungssport in Einklang bringen“, erklärt er, „aber wir brauchen die Bundesliga für die öffentliche Aufmerksamkeit.“
Ende Mai sind Weltmeisterschaften in Belfast. Bis dahin sollen Guido Ringmann, Andreas Kempe und Oliver Gabrisch topfit sein. Und wenn der Formaufbau mit der Liga kollidieren sollte: kein Problem. Denn in der Boxbundesliga gibt es fast nie Absteiger. Zweitligisten scheuen den finanziellen Aufwand in Liga eins. „Hertha ist eben nicht gleich Hertha“, sagt Angrick. Er möchte das nur auf die finanziellen Möglichkeiten bezogen wissen.
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