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Hertha nach Favre-EntlassungDer Schatten des Patriarchen

Bundesligist Hertha BSC sucht nach der Entlassung von Lucien Favre einen neuen Trainer. Der Versuch, mit dem Schweizer eine neue Klubkultur zu etablieren, ist gescheitert.

War zuletzt nur noch ratlos: Herthas Ex-Trainer Lucien Favre. Bild: dpa

Es ist nichts Ungewöhnliches passiert. Ein Tabellenletzter entlässt seinen Trainer. "Vor allem die letzten beiden Niederlagen in der Bundesliga mit neun Gegentoren haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass dieser Schritt notwendig ist."

So richtig hat es keinen verwundert, was Michael Preetz, der Manager von Hertha BSC, am Tag der Entlassung von Lucien Favre gesagt hat. Karsten Heine, Trainer der Regionalligamannschaft von Hertha, trainiert die Mannschaft so lange, bis ein neuer Trainer gefunden ist. Auch das ist nichts Ungewöhnliches. Heine war schon drei Mal Interimstrainer. Berlin bleibt doch Berlin, so scheint es.

Der Wandel in der Klubkultur, für den Lucien Favre stand, er ist jäh gestoppt worden. Jahrelang war der Klub von einem Patriarchen geleitet worden. Dieter Hoeneß war der Allmächtige in der Hertha-Welt. Er kaufte Spieler nach seinem Gutdünken. Er war beinahe alleinverantwortlich für die Außendarstellung des Klubs. Kaum ein Mikrofon, kaum ein Journalistenblock, an dem er nach dem Training, nach einem Spiel nicht kurz stehen blieb.

Dann erklärte er die Hertha-Welt. Es war die seine. Wer Dinge nicht so sehen wollte wie der Oberherthaner, der musste damit rechnen, angeherrscht zu werden. Götter schicken schon mal einen Blitz hernieder auf die Welt der Gewöhnlichen. Vor gut zwei Jahren stellte der Manager den Schweizer Lucien Favre als neuen Trainer vor. Es kam einer, der eine eigene Vorstellung davon hatte, wie ein Team zusammenzustellen, wie es zu führen ist. Hertha wurde anders.

Favre importierte vom FC Zürich, den er beinahe aus dem Nichts zur Schweizer Meisterschaft geführt hatte, seine eigene Idee vom Spiel, sein Prinzip, eine Mannschaft zu organisieren. Das schnelle Passspiel aus einer disziplinierten Verteidigung heraus wurde allenthalben bewundert, als Hertha in der vergangenen Saison urplötzlich um die Meisterschaft mitspielte.

Schneller als die Hertha transportierte kaum ein Team den Ball in die Spitze. Favres One-Touch-Fußball wurde gefeiert, weil es ihm gelungen war, mit einer Mannschaft, in der es nicht gerade von fußballerischen Genies wimmelte, erfolgreich zu spielen. Favres Ideal war der antiautoritär organisierte Teamfußball. Er war der Anti-Hoeneß bei Hertha.

Seine Ansprechpartner im Verein waren Präsident Werner Gegenbauer und Michael Preetz, damals Leiter der Lizenzspielerabteilung im Klub. Mit ihnen bildete er ein harmonisches Trio, das einen Despoten wie Hoeneß überflüssig machte. Bald wurde offen ausgesprochen, was lange undenkbar schien: Dieter Hoeneß ist ein Problem! Und tatsächlich - der Manager wurde vom Hof gejagt. Hertha wollte anders werden.

Die Saison begann. Favre war sich wohl zu sicher, dass sein System auch ohne einzigen herausragenden Fußballer funktioniert. Die Abwehr war in der vergangenen Spielzeit auch deshalb so gut, weil Josip Simunic in etlichen Spielen jeden, aber auch wirklich jeden Zweikampf gewonnen hatte. Und der zurzeit so hilflos wirkende Gestalter Cicero hatte in Marko Pantelic und Andrej Woronin begabte Stürmer als Anspielstationen. Ohne diese drei ist Hertha schwach geworden. Und die, die dageblieben sind, scheinen nicht zuhören zu wollen, wenn einer wie Favre in seiner ruhigen Diktion etwas erklärt.

Hans Gämperle, Favres Co-Trainer, schimpfte kurz bevor er zusammen mit seinem Chef entlassen wurde, auf die Spieler: "Im Mannschaftsbus werden gewisse Äußerungen mit Gelächter kommentiert. Die Spieler spielen gegen sich selbst und gegen Hertha." Selten hat ein Trainer so auf seine Mannschaft geschimpft wie Gämperle, von dem zuvor beinahe nie etwas zu hören war.

Es war ein Hilferuf einer Führungskraft, die jede Autorität verloren hatte. Die Spieler misstrauten den Ideen der Trainer nach den ersten Misserfolgen. Favres Autorität fußte einzig auf dem sportlichen Erfolg. Als der ausblieb, hat die Mannschaft auf die Ansagen nicht mehr reagiert. Zur Selbstorganisation ist sie nicht fähig gewesen. Am letzten Spieltag blamierte sich ein unorganisierter Haufen in Hoffenheim.

Wie und mit wem es weitergeht, soll in den nächsten Tagen entschieden werden. Preetz dazu: "Wir sind dabei, ein Anforderungsprofil zu erstellen, und lassen uns dabei die gebotene Zeit." Moderne Fußballmanagerdiktion. Eine Richtungsentscheidung steht an.

Bleibt die Hertha auf Erneuerungskurs oder kehrt sie zurück zum autoritären System. Für Ersteres könnte Preetz ehemaliger Mitspieler Kjetil Rekdal stehen, der als Kandidat gehandelt wird. Alt-Trainer Jürgen Röber steht für die diktatorische Hoeneß-Ära. Uralt-Trainer und Kabinenprediger Hans Meier sowieso. Wofür der von der Bild-Zeitung ins Rennen geschickte Lothar Matthäus steht, weiß man nicht. Aber der wird es schon nicht werden.

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1 Kommentar

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  • K
    Kreuzberger

    Mir ist es angenehm, dass der einzige wirkliche sympathische Vertreter dieses unsympathischen Vereins nicht mehr da ist. Da kann ich wieder unverhohlen für St. Pauli, Eintracht Frankfurt, FC Liverpool sein.