Herrhausen: Zwei vor, zwei zurück

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank schafft es mit seinen Vorschlägen zur Schuldenreduzierung ein ums andere Mal, sich und seine Bank zu profilieren, obwohl er eigentlich keinen anderen Weg einschlagen will als die Kollegen seiner Branche  ■  Von Ulli Kulke

Kein Zweifel, dieser Mann weiß, was die Wirtschaftspresse von ihm verlangt: Die „Erwartungen“ sind bei seinen Pressegesprächen am Rande der IWF- und Weltbanktagungen seiner Einschätzung nach „so groß“, daß man Gefahr liefe, „sie zu enttäuschen, oder aber das Risiko eingeht, zu pointiert zu formulieren und damit Fehlinterpretationen auszulösen“. Kein Zweifel aber auch, daß Alfred Herrhausen, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, die Fehlinterpretationen seiner Pointen liebt. Sie halten den smartesten aller bundesdeutschen Großbank-Chefs im Gespräch

-und zwar gleich doppelt, haben doch seine „Richtigstellungen“ ebenfalls eine umfangreiche Presse.

The same Procedure as every year, darauf hoffte am Montag nachmittag die versammelte Wirtschaftspresse. Nach dem Coup des Bankers bei der letztjährigen IWF-Tagung in Washington waren ihre Erwartungen tatsächlich groß. Seinerzeit hatte er auf die Frage eines Journalisten angedeutet, daß „bei den Verhandlungen mit den Schuldnerländern auch ein Verzicht doch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann“. Die rebellierenden Kollegen seiner Branche konnte er nach den prompt überspitzten Schlagzeilen beruhigen: Er habe nie einen Schuldenerlaß gefordert. Keiner beherrscht es so wie dieser „Innovative Softy“ (ein US-Banker), bereits in seinem Vorpreschen mit scheinbar revolutionären Ideen den Rückzug auf den Common Sense der Banker Community anzulegen. Dazu gehört eine beispiellose Eloquenz des Doktors der Politikwissenschaften, dessen Ausführungen nie von einem „äh“ oder dergleichen unterbrochen werden.

Nun, das Spielchen mit dem Schuldenverzicht war erstmal Schnee von gestern, und so wartete Herrhausen diesmal mit einer denkwürdigen Bestandsaufnahme auf. Seit Anfang der Schuldenkrise sei „die Stärke der Banken größer, die der Schuldner geringer geworden“. Gestärkt sei die „innere Stabilität der meisten Gläubigerbanken“ vor allem durch die „Wertberichtigungen“, die buchhalterische Anerkenntnis, daß ein Kredit „faul“ geworden ist. Dies können sich indes nur wohlsituierte Kreditinstitute leisten. Jeder der anwesenden Schreiber wußte natürlich, daß das wohlsituierteste aller Häuser das von Herrn Herrhausen ist. Herrhausens Genesis des heutigen Elends der Schuldnerländer hätte durchaus Platz in Währungsserien linker Tageszeitungen: Während sich die Banken gefestigt hätten, sei „das Verhältnis zwischen Schuldenhöhe und Export bei den fünfzehn Baker-Ländern (die am höchsten verschuldeten, d.Red.) von 1982 bis 1987 von 270 auf 330 Prozent gestiegen“. Und weiter: Wollen die Schuldnerländer ihre Pflicht als Kreditnehmer pünktlich erfüllen, müssen sie knappe Ressourcen von Wachstumsstrategien abziehen. Wollen sie wachsen, müssen sie diese Ressourcen dem Schuldendienst vorenthalten“.

Und der Vorschlaghammer, mit dem der IWF stets die verschuldeten Ökonomien richten will, wird bei der Gelegenheit auch gleich demontiert: Die „Währungsabwertungen, von denen man ja Exportunterstützung erwartet“, führten „zu Inflationsimport und über in der Heimatwährung steigende Schuldzinsen zu wachsenden Budgetdefiziten“. Den Drittweltländern werden bei den heutigen Lösungsansätzen Sisyphus-Mühen bescheinigt: „Bezeichnenderweise ist die Besserung der Handelsbilanzergebnisse der Baker-Länder von 1982 an vornehmlich durch Einfuhreinschränkung zustandegekommen, denn 1987 waren die Exporte dieser Länder nicht höher als 1982.“ Beides laufe aber wiederum auf Wachstumsverlust hinaus. Herrhausen: „Die Frage, die ich mir hier stelle, ist die: Befinden wir uns nicht in einem Circulus-vitiosus?“

Und von den bisherigen Lösungsmustern wie Schuldpapierhandel zu Discountpreisen seien „offenbar auch die schärfsten Verfechter“ nicht voll überzeugt, „sonst würden sie ja streng nach kaufmännischem Gebot jetzt Forderungen billig aufkaufen“. Wo soll das enden, fragt sich da auch der unbefangene Wirtschaftsjournalist. Wo, wenn nicht im Schuldennachlaß? Das ist auch Herrhausens Meinung oder auch nicht? Er umschreibt ihn jedenfalls mit „debt relief“, Schuldenerleichterung, um noch mehr Interpretationsmöglichkeiten zu bieten. Und die will er „nicht kategorisch ausschließen“, zumal er auch meint, daß ein solcher Schritt die Kreditwürdigkeit der Länder erhöht und nicht verringert. Damit setzt er sich auch noch in Widerspruch zur Bundesregierung. Finanzminister Stoltenberg und Entwicklungsminister Klein betonen stets unisono, die Entwicklungsländer wollten selbst garkeinen Nachlaß, weil sie sonst ihrer Kreditwürdigkeit verlustig gingen.

Im letzten Jahr war es die neue Qualität, daß Herrhausen einen Schuldenverzicht „nicht grundsätzlich ausschließen“ wollte. Diesmal lieferte er als neue Variante eine zwingende Begründung für einen teilweisen Schuldenverzicht. Und trotzdem konnte er in wundersamer Weise auch diesmal völlig korrekt auf Nachfragen behaupten - „Ich habe doch nie einen generellen Schuldenverzicht gefordert“. Und wenn jemand hartnäckig wird, dann kann er auch die übliche Klaviatur der Bankerbranche spielen. Der „Menu approach“, die „Menükarte“, aus der sich jede Schuldnerregierung ihre liebste Lösungsstrategie heraussuchen könnte, laufe schließlich auch auf faktischen Schuldenverzicht hinaus. Das stimmt, und das weiß auch jeder Banker, sonst würde er nicht versuchen, buchungsmäßig faulen Krediten vorzubeugen. Nur sagen, sagen darf man es nicht als Banker. Aber Herrhausen hat doch auch garnichts gesagt - oder?