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Herr Hefele kriegt zwei Minuten

■ Albert Hefele

Vor einigen Tagen rettete ich jemandem das Leben. Kein bedeutendes Leben. Es war im Biergarten. Es war eine winzige Fliege, die mir ins Getränk gesegelt war. Trotzdem: Ich hätte das Tierchen wütend aus meinem Getränk nehmen und wegschnippen und ihm dergestalt das winzige Genick brechen können.

Ich tat es nicht; ich hielt meinen Finger hin und ließ es sich ankleben, und dann setzte ich die winzige Fliege auf einen zufällig dastehenden Aschenbecher und sah ein Weilchen zu,

Diego Maradona und die Jaktationen eines verzweifelten Kickerbären

wie sie die nassen Flügel hinter sich herschleppte, die nach und nach trockneten und überlegte, ob sie wohl eine Ahnung davon hatte, welches Glück ihr zuteil wurde, ausgerechnet auf mich zu treffen. In diesem Biergarten. Auf einen zu treffen, der Mitleid mit ihr hatte.

Für zehn Minuten fühlte ich mich sehr edel. Dabei habe ich es gar nicht gern, wenn man Mitleid mit mir hat. Denn: Mitleid ist im Grunde eine fürchterliche Fähigkeit. Obwohl das Mitleid als wichtige Qualität zur Sicherung sozialer Strukturen und Bindungen – im Sinne von Hilfe und Schonung für die Schwachen – gehandelt wird, signalisiert es dem Bemitleideten doch vor allem eines: Du bist – zumindest im Augenblick – ein Nichts. Im Extremfall ein hilfloser, kraftloser, konturloser Jammerlappen. Ein winziges, nichtswürdiges Flieglein, das seine klatschnassen Flügel hinter sich herzieht.

Mit Diego Armando Maradona habe ich schon länger Mitleid. Ich will damit sagen: Schon sehr viel länger, als die realen Gründe dafür sichtbar waren. Und zwar wegen seines Rückens. Diese Kyphose! Genauer: diese Hyperkyphose! Eine Verbiegung des Rückgrates, die sich „von“ schreibt. Die selbst den noch jüngeren Maradona meistens in die Schräglage zwang. Die ihn manchesmal sogar etwas hochmütig erscheinen ließ, wenn er wie von einem leichten Windstoß verweht über den Fußballplatz tänzelte: Brust heraus, mit gelüpften Augenbrauen, als wolle er das Geschehen von einer höheren Warte aus überblicken. Dabei konnte er gar nicht anders. Darum tat mir der Arme schon damals leid. „Da wird der arme Diego wohl noch Probleme kriegen, im Alter“, dachte ich bei mir.

Jetzt mit Diego Armando Maradona Mitleid zu haben, ist keine Kunst. All diese Drogen und verlorenen Vaterschaftsprozesse und viel zu viele Kilos auf den Hüften. In seltsamen Filmen muss er mitspielen, um über die Runden zu kommen, und nur noch Jojo spielen täte er, heißt es. Immer nur Jojo spielen. Die Jaktationen eines verzweifelten Kickerbären? Trostlose, sinnlose Automatismen eines dieser traurigen, alt gewordenen Fußballkinder? Die nur in Verbindung mit dem Ball, mit dem Spiel, für das sie gemacht zu sein scheinen, blühen und leben können. Ohne das Runde unfähig zu jeglicher Kreativität, zu jeglicher verwertbaren Leistung. Unfähig zu leben.

Beispiele gibt es genug: Garrincha. Gerd Müller. Libuda. Diego Maradona? Einer der Allergrößten im grünen Geviert –Diego, der geniale Mops. Und nun will ihn São José für die brasilianischen Provinzmeisterschaften von Rio Grande do Sul verpflichten. „Mach das nicht!“, möchte man ihm zurufen. „Lass nicht zu, dass wir noch mehr Mitleid mit dir haben müssen!“ und: „Denk an die Geschichte mit der Fliege mit den nassen Flügeln!“ Aber die Geschichte kennt er ja nicht ...

PS: Ich trage mich mit dem Gedanken, im Rahmen dieser Kolumne eine Arschlochmannschaft einzuführen. Dieser Mannschaft werde ich in lockerer Folge Spieler, Trainer und Manager zuführen, die sich nach nur von mir aufgestellten Kriterien dafür qualifizieren. Zum Beispiel: Ciri Sforza, die „revolutionäre Keimzelle“ (BamS) in Kaiserslautern. Nicht etwa, weil er Otto Rehhagel kritisiert hat – der hat selber gute Chancen, in die A-Mannschaft zu kommen –, ich unterstelle Herrn Sforza, dass sein ganzer Aufstand nicht aus Überzeugung stattfindet, sondern lediglich ein strategisches Manöver ist, um für Dortmund frei zu werden. Er hat das schon öfter praktiziert. Siehe Mailand, siehe München. Also: Libero in der Arschlochmannschaft: Ciriaco Sforza.

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