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Archiv-Artikel

Herr Handball hofft

Bei der Handball-WM spielt das deutsche Team nach dem Sieg gegen Schweden um Platz neun, Bundestrainer Heiner Brand blickt trotz des mäßigen Abschneidens zuversichtlich in die Zukunft

Ein Weltklasseteam kann auch ein Erfolgstrainer wie Heiner Brand nicht einfach so aus dem Boden stampfen

AUS NABEUL FRANK KETTERER

Nun, da die Tage in Tunesien sich langsam ihrem Ende zu neigen, muss die Rede unbedingt noch einmal auf Heiner Brand kommen, diesen Stoiker – und Bundestrainer. Brand ist ja so etwas wie der Herr Handball, und als solcher hat er natürlich schon viel erlebt und fast genauso viel gewonnen: Schon als Spieler war er Weltmeister – und auch als Trainer führte er die deutsche Nationalmannschaft bis an die Weltspitze. Vizeweltmeister wurden die Deutschen unter ihm sowie Europameister, und Silber bei Olympia gewannen sie obendrein. Brand, so könnte man sagen, hat den deutschen Handballern das Siegen beigebracht, und jetzt, da sie diese große Qualität verloren haben und wieder verlieren, kann man sich leicht vorstellen, dass auch der Herr Handball nicht glücklich darüber ist. „Es ist ja nicht so, dass mir die Niederlagen Spaß machen“, hat Heiner Brand in Tunesien gebrummt und zugegeben: „Ich kann nämlich nicht gut verlieren.“

Morgen beschließt die deutsche Mannschaft die WM mit dem Spiel um Platz neun, nachdem sie gestern ihr letztes Hauptrundenspiel gegen Schweden mit xx:xx gewonnen hat. Brand hatte im Vorfeld der WM schon gewusst, dass es genau so oder doch zumindest so ähnlich kommen würde, Brand weiß schließlich alles über Handball. Jetzt hat der 52-Jährige verraten, dass er sogar mit Schlimmerem gerechnet hat. „Ich hatte befürchtet, dass wir gegen die großen Nationen eingehen.“ So weit ist es nicht gekommen, selbst dieses von Grund auf umgekrempelte und wenig eingespielte Team hat sich hier nicht abschlachten lassen, sondern nach Leibeskräften gewehrt – meistens jedenfalls.

In der Vorrunde hat es Ägypten besiegt sowie den hoch gehandelten Norwegern ein Unentschieden abgetrotzt, selbst die Hauptrundenspiele gegen Spanien und Kroatien gingen jeweils nur knapp verloren. Auch wenn die DHB-Equipe vor allem in den letzten beiden Partien nicht wirklich eine Chance auf den Sieg hatte, so hat sie sich doch nie aufgegeben, sondern stets das gezeigt, was man Charakter nennt. „Wie die Mannschaft sich immer wieder herangekämpft hat, das hat mich schon beeindruckt“, sagt Brand, der bisher nicht als Mann der Übertreibung auffällig geworden ist.

Das ist das Positive, das man aus dieser WM ziehen kann. Und zusammen mit der Tatsache, dass die personellen Voraussetzungen schlimmer nicht mehr werden können, ergibt das durchaus eine nette Portion Hoffnung, dass es schon in näherer Zukunft wieder besser wird mit der deutschen Nationalmannschaft. In Tunesien hat Brand auf fünf nach Olympia zurückgetretene (Schwarzer, Zerbe, Petersen, Kretzschmar, Dragunski) sowie drei verletzte (Stephan, Baur, Fritz) Spieler verzichten müssen, die allesamt der Weltklasse zuzuordnen sind. Ersetzt hat er sie durch mehr oder weniger namenlose Youngsters, junge Kerle, die Hegemann heißen oder Grafenhorst oder Bitter, und die noch am Anfang zumindest ihrer internationalen Karriere stehen. Hinzu kam der Ausfall von Pascal Hens zu Beginn des Turniers sowie der von Oleg Velyky am Ende, womit der deutsche Rückraum gänzlich zur Baustelle geworden war. „Ich kenne keine Mannschaft, die so etwas einfach so verkraften würde“, hat Brand folgerichtig korrekt angemerkt.

Dies alles sind nicht nur gute, sondern auch äußerst nachvollziehbare Gründe, warum die deutsche Mannschaft bei dieser WM erstmals seit langem nicht mithalten konnte mit den Großen, es war schlichtweg unmöglich. Man kann Weltklasse nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen, schon gar nicht im Handball. Brand hat in den Tagen von Tunesien oft um Nachsicht gebeten für sein Team. „Im Mannschaftssport dauert es eben etwas länger“, hat er gesagt – und das Wort „Geduld“ war dabei jenes, dass der Bundestrainer am häufigsten unter seinem Schnauzbart hervorgebrummt hat. Das ist typisch für Brand, letztendlich ist es typisch für jeden guten Trainer: Dass er sich vor die Seinen stellt, vor allem wenn das Turnier noch im Gange ist. Es ist aber auch typisch für den 52-Jährigen, dass er die negativen Dinge, die ihm bei aller Nachsicht aufgefallen sind, in aller Deutlichkeit anspricht, letztendlich können auch Handballer nur aus ihren Fehlern lernen. „Bei allem Positiven, das ich gesehen habe, gibt es schon auch noch viele Fragezeichen“, hat Brand am Ende der Reise deshalb festgestellt, vor allem Christian Zeitz war ein solches. Brand hatte den Mann, der gestern gegen Schweden sein 100. Länderspiel bestritt, bei dieser WM als eine der Stützen der Mannschaft vorgesehen, am Ende musste der Bundestrainer allerdings erkennen, dass Zeitz nicht über das nötige Potenzial hierfür verfügt. Der 24-Jährige präsentierte teilweise unterirdisches Niveau. Wie er Bälle im Angriff versemmelte, grenzte an Frechheit, vielleicht sogar an Sabotage.

„Manchen fehlt es an spieltaktischer Disziplin“, stellte Brand in Richtung Zeitz fest – und ein bisschen ging das auch in die Richtung von Holger Glandorf. Mit dem Unterschied: Glandorf ist gerade mal 21, spielt in Tunesien sein erstes großes Turnier – und „darf sich diese Fehler noch erlauben“, wie selbst Brand sagt.

Für den großen Rest, von hinten nach vorne, fällt die Bilanz in etwa so aus: Die Torsteher Bitter und Lichtlein „haben ihre Aufgabe erfüllt“, werden aber ohnehin ins zweite Glied treten, wenn Stammkeeper Fritz wieder genesen ist. Oliver Roggisch ist in der Abwehr allemal eine Option für die Zukunft, Blockkollege Frank von Behren ist immerhin „kämpferisch an seine Grenzen gegangen“, Spielmacher Steffen Weber wiederum „hat seine Sache sehr gut gemacht“, bleibt unterm Strich aber doch: ein Zweitligaspieler. Zu Oleg Velyky, Florian Kehrmann sowie Torsten Jansen braucht man nichts weiter zu sagen, womit der Kreis übrig bleibt und nach dem Weggang von Christian Schwarzer vielleicht das größte Vakuum. „Bei der Beurteilung bin ich ein wenig zurückhaltend“, sagt Brand. „Sebastian Preiß und Jens Tiedtke haben in der Liga noch wenig Erfahrung. Da ist noch sehr viel Arbeit notwendig.“ Alternativen zu ihnen sind nicht sichtbar.

Heiner Brand hat viele dieser Dinge schon im Vorfeld geahnt, er kennt ja den Handball und auch seine Pappenheimer. Nun, da sich die Ahnung in 14 Tagen zur Gewissheit ausgewachsen hat, wird er in innere Klausur gehen und die weiteren Weichen stellen für die Zukunft, und dazu wird auch gehören, dass er sich „Gedanken machen muss, ob ich den einen oder anderen noch einsetze“. Allzu lange Zeit bleibt ihm für den Neuaufbau nicht, 2007 findet die WM in Deutschland statt. Auch für den 52-Jährigen ist das der Zeitpunkt, an dem er wieder eine schlagkräftige Truppe aufgebaut haben will, die dann möglichst um die Medaillen mitspielen soll. Bis dahin wird Heiner Brand vor allem eines brauchen: viel Geduld.