Herero fordern Schädel zurück: Berliner Charité untersucht noch
Am 11. Dezember 1904 war erstmals von "Konzentrationslagern" in Deutsch-Südwestafrika die Rede. Leichenpräparate der dort gestorbenen Herero und Nama sind noch in Deutschland.
![](https://taz.de/picture/368943/14/6587326.jpg)
"Innerhalb der Deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Gewehr … erschossen." Mit dem "Vernichtungsbefehl" des Generals Lothar von Trotha vom 2. Oktober 1904 begann der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. In den Jahren von 1904 bis 1908 fielen zehntausende Herero und Nama Krieg, Vertreibung und den Bedingungen in den deutschen Internierungslagern zum Opfer.
Die wachsende Zahl deutscher Siedler, erzwungene Landräumungen und Enteignungen sowie die Rassenpolitik der deutschen Kolonialregierung führten im Januar 1904 zum Aufstand der Herero unter Führung ihres Häuptlings Samuel Maharero. Die Nama schlossen sich den Aufständischen im Oktober 1904 an. Nach anfänglichen Erfolgen wurde die Streitmacht der Herero am 11. August 1904 in der Schlacht am Waterberg durch die deutschen Schutztruppen geschlagen, die Überlebenden in die an den Waterberg angrenzende Omaheke-Wüste getrieben. Tausende Hereros wurden erschossen oder fanden den Tod durch Verdursten und Entkräftung beim Versuch, das jenseits der Wüste liegende britische Gebiet zu erreichen. General von Trotha hatte seinen Truppen befohlen, sämtliche Fluchtwege abzuschneiden und die Wasserstellen zu besetzen. Auf die unmenschlichen Befehle von Trothas reagierte die Öffentlichkeit in Deutschland, in erster Linie die Sozialdemokraten sowie Vertreter christlicher Verbände, mit Entsetzen. August Bebel prangerte den General an: "Einen derartigen Krieg wie Herr von Trotha kann jeder Metzgerknecht führen." Der General hatte sich bereits 1896 als verantwortlicher Kommandeur bei der Niederschlagung der Wahehe-Rebellion in Deutsch-Ostafrika und als Brigadekommandeur während des Boxeraufstandes einen Ruf als erbarmungsloser, ja grausamer Militär erworben. Einer seiner Offiziere war Paul von Lettow-Vorbeck, der später als "Held" von Deutsch-Ostafrika Berühmtheit erlangen sollte. Lettow-Vorbeck, zuerst Adjutant im Generalsstab, war später als Kompaniechef bei der Niederschlagung des Herero-Aufstandes eingesetzt. Vier Bundeswehrkasernen trugen und tragen den Namen des späteren Generals von Lettow-Vorbeck, der wegen seiner Teilnahme am Kapp-Putsch vor ein Kriegsgericht gestellt und aus dem aktiven Militärdienst entlassen wurde.
Nach der fast vollständigen Vernichtung der Herero-Streitmacht setzten die Nama ihren Widerstand mit einem bis 1908 andauernden Guerillakrieg fort, der mehr als der Hälfte ihres Volkes das Leben kosten sollte. Der größere Teil der Überlebenden, etwa 21.000 Herero und mehrere tausend Nama, wurden von den Deutschen in Gefangenenlager interniert. Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow verwendete für diese Lager am 11. Dezember 1904 erstmals offiziell die Bezeichnung "Konzentrationslager". Mehr als die Hälfte der Lagerinsassen starb an den Folgen von Zwangsarbeit und unmenschlichen Haftbedingungen. Eines der grausamsten Details dieses Vernichtungskrieges waren die von Eugen Fischer betriebenen Studien an Leichenteilen, auch an Schädeln der Opfer.
Damit sollte die "Überlegenheit der deutschen Rasse über afrikanische Rassen" bewiesen werden. Im Jahre 1906 wurden an 778 Schädeln, auch an dem des Nama-Häuptlings Cornelius Frederiks, Untersuchungen durchgeführt. Weibliche Gefangene wurden gezwungen, die Schädel mit Glasscherben abzuschaben, um für Versuchs- und Dekorationszwecke geeignete Stücke zu erhalten, die Eugen Fischer im Anschluss deutschen Museen und Universitäten zur Verfügung stellte. Auch heute befinden sich noch 47 Schädel aus dieser "Sammlung" im Uniklinikum Charité in Berlin und weitere im Archiv der Universität Freiburg.
Vernichtungskrieg und Rasse-Studien sind nicht nur Details des Völkermordes an den Herero und Nama, sie sind Folge der spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung verbreiteten Ideologie von der Überlegenheit der deutschen Rasse. So stieß die von den deutschen Kolonialtruppen praktizierte Ausrottungspolitik, aber auch der seit je gegen den Kriegsbrauch verstoßende Exzess der Abtrennung von Leichenteilen in Deutschland auf wenig Widerstand.
Vor dem Hintergrund dieses verbrecherischen Abschnitts deutscher Kolonialgeschichte dürften der von Herero und Nama geforderten Rückgabe der Schädel eigentlich keine Hindernisse im Weg stehen. Doch man höre: die Charité entschuldigt sich damit, dass die Untersuchungen an den Schädeln noch nicht abgeschlossen seien, man die Präparate dann jedoch für eine ehrenvolle Bestattung zurückgeben werde. Es kommt noch besser: das Archiv der Universität Freiburg verteidigt die Sammlung von Schädel und Knochen gar als "Kulturgut".
Angesichts eines derart unsensiblen Umgangs mit den Gefühlen der Nachkommen der Opfer sollte man die Frage nach einer längst fälligen Wiedergutmachung besser nicht stellen. Immerhin hatte die Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) anlässlich der Gedenkfeiern zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg im Jahre 2004 das Massaker an den Herero als Völkermord bezeichnet und sich für die von Deutschen begangenen Verbrechen entschuldigt. Die Anerkennung des Unrechts den Nachkommen der Opfer gegenüber scheint jedoch in weiter Ferne zu liegen. Denn daraus könnten nach geltendem Völkerrecht Ansprüche auf Wiedergutmachung abgeleitet werden. So wurde Ende Juni im Bundestag ein Antrag der Linksfraktion abgelehnt, in der die Linke für eine Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen plädierte.
Niemanden freilich stört es, dass auf dem Garnisonsfriedhof am Columbiadamm in Berlin ein Denkmal für die in den Überseegebieten, etwa auch in Deutsch-Südwestafrika, gefallenen deutschen Soldaten steht; am Volkstrauertag finden dort Treffen rechtsgerichteter Gruppierungen statt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben