■ Helmut Kohls „Arbeitsbesuch“ in den Niederlanden: Gemischte Gefühle
Der zweitägige „Arbeitsbesuch“ Helmut Kohls in den Niederlanden ist vor allem ein geschickter Kompromiß. Eigentlich sollte der deutsche Regierungschef schon vor 17 Tagen reisen. Als im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Befreiung von der Nazi-Besetzung Hollands Regierung auf die delikate Idee verfiel, erstmals seit Kriegsende gemeinsam mit dem heute befreundeten Nachbarn zu gedenken, gab es umgehend die rote Karte für Premier Wim Kok. Mit den Deutschen gemeinsam gedenken? „Auf keinen Fall“, hieß die empörte Reaktion ehemaliger Widerstandskämpfer, Zwangsarbeiter und KZ- Häftlinge, „nicht solange wir noch am Leben sind.“
Aus der Feierstunde, die die immer wieder auflebenden „atmosphärischen Störungen“ hätte besänftigen sollen, ist ein Arbeitsbesuch geworden. Aber auch wenn es sich offiziell um eine Routinebegegnung mit Routinethemen handelt – der Besuch jenes Elefanten, dem noch jedes Porzellan zum Opfer fiel, ruft auch zwei Wochen nach dem 5. Mai bei vielen Niederländern böse Erinnerungen wach.
Die Deutschen können machen, was sie wollen – kein anderes Volk in Europa ist in Holland unbeliebter als die „Moffen“. Deswegen auch hat Kohls Besuch in Den Haag und Amsterdam, ganz besonders aber in Rotterdam, der angesagten „Routine“ zum Trotz Symbolcharakter. Gerade die Rotterdamer tun sich schwer mit Versöhnung. Zehn Minuten nur brauchten die deutschen Bomber am 14. Mai 1940, um die Hafenmetropole für Jahrzehnte zu einem Mekka für Städtebauer zu machen. Kein Wunder, daß vor allem die gestrige Kranzniederlegung am Mahnmal auf dem „Plein 1940“ von der holländischen Öffentlichkeit mit Argusaugen registriert wurde. Hier streckt inmitten einer hypermodernen Skyline Ossip Zadkines Bronzestatue „De verwoeste stad“ (die zerstörte Stadt) verzweifelt beide Arme gen Himmel, das Herz ist der Figur aus dem Körper gerissen.
Trotz dynamischen Wiederaufbaus können mit den Rotterdamern viele Holländer nur schwer vergessen. Mögen der deutsche und der niederländische Regierungschef noch so oft die Normalität in den Beziehungen beider Länder beschwören – spannungsfrei ist das Verhältnis zwischen Deutschen und Holländern auch ein halbes Jahrhundert nach der allzu heftigen Umarmung durch das „arische Brudervolk“ nicht. Daß hier nicht nur holländische Selbstgerechtigkeit im Spiel, vielmehr nach wie vor Mißtrauen angebracht ist, zeigt gerade die jüngste, für den Geschmack der Niederlande allzu exklusive Zurschaustellung deutsch-französischer Busenfreundschaft. Henk Raijer
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