piwik no script img

Helmut Höge WirtschaftsweisenPutzfrauen und ihre komischen Kunden

„Doing the Dirty Work. Migrantinnen in der bezahlten Hausarbeit in Europa“ hieß 2006 eine Studie der englischen Soziologin Bridget Anderson. In Berlin fand die Autorin es „besonders bemerkenswert, dass Putzfrauen, die in Zeitungen inserieren, hier klarstellen:,No Sex', womit sie deutlich machen, dass sie ein Angebot von,Hausarbeit' für missverständlich halten“.

Nach der Wende und dem Zuzug von wohlhabenden Westlern erhöhte sich der Bedarf an „Dienstleistern“. In Westberlin gab es sehr viele Schuhläden – mit gut aussehenden Schuhverkäuferinnen. Wenn sie älter wurden, ersetzte man sie gern durch jüngere. Vier dieser vorzeitig gekündigten Schuhverkäuferinnen (mit „Niedrigrente“) fingen als Putzfrauen an. Weil das aber auch nicht viel einbrachte, eröffneten sie ein Bordell – mit sich als „Modellen“. Daneben stellten sie eine alte Frau aus einem Zirkus als Telefonistin ein und einen Studenten, der sie zu den Freiern fuhr. Eine, Rita, erzählte der ukrainischen Prostituierten Lilly Brand (in: „Transitgeschichten“ 2006), dass sie fast nur Professoren als Kunden habe, und bis zu vier oder fünf täglich sei es noch ganz gut. Oft würden sie sich nur mit einem unterhalten wollen. Ihre früheren Putzkunden habe sie an eine polnische Putzfrau abgetreten.

1998 veröffentlichte die polnische Soziologin Malgorzata Irek eine Studie über diese Frauen: „Der Schmugglerzug Warschau–Berlin–Warschau“. Bei den in Berlin arbeitenden unterschied sie zwischen den „Putzfrauen der ersten Generation“, die bis etwa 1990 aus einem staatlich „ausgewählten Personenkreis“ bestanden, und den „Putzfrauen der jüngeren Generation“, die danach kamen und auch „einen Hauch vom Kapitalismus spüren“ wollten.

In Berlin wurden sie in einem „Netz“ tätig, das die Älteren vor ihnen aufgebaut hatten – und wofür sie auch Abgaben verlangten. Über ihre Kunden äußerte zum Beispiel eine, die von der Arbeit Ekzeme an ihren Händen bekommen hatte: „Das kommt vom Essig. Diese Kühe wollen alles ökologisch haben.“ Die Berliner Professoren werden allerdings auch von den polnischen Putzfrauen geschätzt: „Sie sind nicht pingelig, und eigentlich braucht man überhaupt nicht gründlich sauber zu machen.“

Die polnischen Putzfrauen sind oft überqualifiziert. In der Studie „Die ganze Welt zu Hause. Cosmobile Putzfrauen in privaten Haushalten“ (2006) der ungarischen Soziologin Maria S. Rerrich heißt es: „Hier findet nicht nur ein ‚brain drain‘ aus den Heimatländern der Frauen statt. Es handelt sich auch um einen ‚brain waste‘ in Deutschland, also die vielfache Verschwendung von Humankapital“ – wenn die Frauen hier gezwungen sind, sich als Putzfrauen in irgendwelchen Wohnungen, Hotelzimmern und Büros zu verschleißen – nachts oft und schlecht bezahlt.

Während die polnischen Putzfrauen hier als „Selbstständige“ einen Status als „Unternehmerinnen“ anstreben, kämpfen die Putzfrauen in den USA um kleine Arbeitserleichterungen. 2002 verdingte sich die US-Journalistin Barbara Ehrenreich als Putzfrau in Kalifornien. In ihrem Bericht „Working Poor“ schreibt sie, dass der US-Putzfrauenmarkt von großen Reinigungsfirmen beherrscht wird.

Von der Verkäuferin zur Putzfrau zur Bordellbesitzerin

Die Putzfrauen dort bekommen ihre Kunden fast nie zu sehen – nur durch die Einrichtungsgegenstände, die sie sauber halten müssen, können sie sich ein Bild von ihnen machen. Der eine hat eine große Bibliothek über Zen-Buddhismus, der andere sein Badezimmer zu einem Nassorgiencenter ausgebaut. Die Frauen tragen grelle grün-gelbe Arbeitskleidung, ihre Arbeitsgänge sind von der Reinigungsfirma mit der Stoppuhr ausgetüftelt. Sie dürfen nicht fluchen und kein Glas Wasser trinken – der Kunde könnte sie videoüberwachen.

Als Ehrenreich sich für eine Kollegin einsetzen will, die sich nach einem Arbeitsunfall nicht getraut hatte, zur Ambulanz zu gehen, scheitert sie: „Dies war der absolute Tiefpunkt in meinem Putzfrauenleben und wahrscheinlich nicht nur in dem.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen