Heizkostenabrechnung auf dem Prüfstand: „Wir brauchen eine Machtbasis“
Deutsche Wohnen & Co. enteignen startet eine neue Kampagne zu Betriebskostenabrechnungen. Die taz hat mit zwei Aktivistinnen gesprochen.
taz: Frau Handwerg, Frau Endres, Sie beide sind bei Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) aktiv und starten dort aktuell eine neue Kampagne, um Mieter:innen gegen hohe Betriebskostenabrechnungen zu mobilisieren. Derzeit flattern vielerorts die Abrechnungen für 2021 ins Haus. Was ist das Ziel dieser Kampagne?
Tashy Endres: Wir wollen Mieter:innen organisieren, um uns gegen die horrenden Nebenkostenabrechnungen zu wehren, die bei vielen Menschen gerade Existenzängste auslösen. In den letzten Wochen sind Kiezteams in verschiedenen Wohnblöcken von Enteignungskandidaten von Tür zu Tür gezogen und haben sich zunächst einmal umgehört, wo die Abrechnungen schon eingegangen sind. Die Kiezteams entscheiden selbst, in welche Wohnblöcke sie gehen. Perspektivisch werden uns diese Strukturen nächstes Jahr erlauben, ganz anders zu agieren – da werden die Energiepreise ja voll durchschlagen.
Frau Handwerg, Sie unterstützen die Kampagne als Anwältin für Mietrecht. Wie sehr machen sich die Preise bereits bemerkbar?
Carola Handwerg: Auch 2021 gab es schon höhere Heizkosten, weil viele Mieter:innen während der Pandemie im Homeoffice arbeiten mussten. Darüber hinaus dürften sich die Preissteigerungen aber eigentlich noch nicht bemerkbar machen. Viele Vermieter:innen verdoppeln dennoch die Abschläge für das kommende Jahr – als Vorauszahlung. Da müssen wir genau hinsehen, ob alles gerechtfertigt ist.
Die Inflation trifft viele Menschen schwer. Was droht, wenn Mieter:innen die Betriebskosten nicht mehr zahlen können?
Handwerg: Wenn die Erhöhung gerechtfertigt ist, dann sind das Mietschulden. Wenn die sich auf mehr als eine Monatsmiete summieren, ist das ein Kündigungsgrund. Die Vermieter:innen müssen die gestiegenen Kosten aber genau begründen: Ein Verweis auf die allgemein gestiegenen Gaspreise reicht da nicht.
Sondern?
Handwerg: Sie müssen genau nachweisen, welcher Dienstleister seine Preise um wie viel erhöht hat. Sind die Erhöhungen nicht rechtens, muss es Geld zurückgeben. Was die Vorauszahlungen angeht, ist es ein Abwägen: Wer sie jetzt nicht akzeptiert, muss kommendes Jahr mit einer heftigen Nachzahlung rechnen. Auf der anderen Seite muss man den Vermietern auch keinen Kredit geben. Es wird in Berlin wahrscheinlich einen Härtefallfonds für solche Nachzahlungen geben. Auch die Jobcenter werden Nachzahlungen sicher besser handhaben als gestiegene Vorauszahlungen.
Dürfen Vermieter:innen mit Nebenkosten überhaupt Gewinne machen?
Endres: Nein. Nebenkosten sind dennoch ein Geschäftsmodell. Vonovia zum Beispiel macht das über eine Reihe formal unabhängiger Tochtergesellschaften, die dem Mutterkonzern Dienstleistungen in Rechnung stellen. Im Geschäftsbericht 2020 von Vonovia tauchen 145 Millionen Euro aus „zusätzlicher Wertschöpfung“ auf. Einen Teil davon haben die Mieter:innen über ihre Betriebskosten bezahlt.
Wie kann Vernetzung in der Nachbarschaft helfen, dagegen vorzugehen?
Endres: Carola und ich waren vor DWE bei Kotti & Co aktiv und haben dort viel Erfahrung mit Organizing gesammelt. Seit 2011 bietet Kotti & Co im besetzten Protesthaus Gecekondu kostenlose Rechts- und Sozialberatung an. 2014 haben wir erstmals eine Kampagne gegen Nebenkosten auf die Beine gestellt – die waren damals am Kotti doppelt so hoch wie im Rest der Stadt.
Was waren damals Ihre Erfolge?
Handwerg: Gar nicht mal die Rückerstattungen selbst, sondern dass die Abrechnungen im kommenden Jahr krass gesunken sind. Wir sind denen ziemlich auf die Nerven gegangen. Wir haben über Stunden in den Räumen der Deutschen Wohnen Belege geprüft und dabei auch viel über die Netzwerke der Tochterfirmen herausgefunden. Der Konzern hat dann für alle Blöcke am südlichen Kottbusser Tor den Wärmeanbieter gewechselt, seitdem hören wir über die Nebenkosten keine Beschwerden mehr. Ich bin sicher, dass die organisierte Nachbarschaft dafür mitverantwortlich ist.
Endres: Ein großer Erfolg war auch einfach die Vernetzung als Nachbarschaft. Auf einer der Gerichtsverhandlungen zu den Nebenkosten haben sich auch erstmals Mieter:innen der Deutschen Wohnen aus unterschiedlichen Bezirken vernetzt. Wir haben Menschen erreicht, die noch nicht links politisiert waren oder die anfangs unsere Meinung nicht teilten. Der Ansatz von Organizing ist nicht, Menschen zu mobilisieren, die ohnehin überzeugt sind, sondern die Probleme der Menschen ernst zu nehmen. So kommen wir auch über strukturelle Ursachen ins Gespräch.
Wie läuft so ein Organizing konkret ab?
Handwerg: Die ersten Haustürgespräche sind wichtig. Da knüpfen wir Kontakte und bauen Vertrauen auf. Wir laden die Nachbar:innen dann zu einer Kiezversammlung ein, in der wir zunächst einmal die Probleme besprechen: Was bedeuten die Abrechnungen für jede:n Einzelne:n? Dann erklären wir kurz und verständlich, was Betriebskosten sind und wie wir uns wehren können.
Wie geht es dann weiter?
Handwerg: In der dritten Phase fordern wir gemeinsam Belegeinsicht. Zusammen formulieren wir Musterschreiben, die bis zu zehn Mieter:innen unterschreiben können. Wichtig ist ein einheitlicher Look, damit die Vermieter:innen wissen, dass wir nicht alleine handeln. Als Anwältin nicke ich die Formulierungen ab. Der Brief löst bereits ein sogenanntes Zurückbehaltungsrecht aus. Bis wir volle Belegeinsicht erhalten haben, müssen die Mieter:innen nichts zahlen. Das kann wertvolle Zeit sein, um das Geld zusammenzubekommen. Wenn wir glauben, dass die Nachweise nicht korrekt sind, ziehen wir vor Gericht und fordern das Geld zurück.
Was wird für DWE in den kommenden Monaten wichtiger sein – Wahlkampf oder Organizing?
Endres: Wir müssen verschiedene Strategien zusammen denken. Natürlich muss DWE weiter Druck machen, damit die von den Berliner:innen längst beschlossene Enteignung endlich umgesetzt wird. Die Organisierung in den Nachbarschaften zeigt ja, was alles schiefläuft in der profitorientierten Bewirtschaftung der Häuser. Um eine langfristige Machtbasis zu haben, müssen wir uns wieder stärker in den Nachbarschaften organisieren. Wir denken, dass über diesen Weg auch mehr Menschen zu den großen Sozialprotesten kommen werden.
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